100 Jahre Weltpostverein | 1. Teil

Ausgabe

DAS ARCHIV 01/1974

Autor: Marc Moser (Zürich)

Seiten: 3-26

I. Vorgeschichte

Die Gründung des Weltpostvereins am 9. Oktober 1874 in Bern setzte einer weit älteren Entwicklung die Krone auf. Das Botenwesen der Antike und des Mittelalters war zunächst vorwiegend privater Natur. Man übergab aufgezeichnete Mitteilungen Vertrauensleuten auf weite Strecken hin; in Fällen besonderer Bedeutung, die Geheimhaltung verlangte, war mündliche Meldung durch den Überbringer vorgesehen, dem man damit große Einsicht und Zuverlässigkeit zutraute. Wirtschaftlichkeit und Schnelligkeit waren nach heutigen Maßstäben äußerst gering. Verschiedene Auswege wurden sehr früh gesucht: berittene Postboten, Ablösung von Etappe zu Etappe, um Ruhestunden zu vermeiden, Ausbau eines guten Straßennetzes. Für solche Fortschritte sind sowohl das alte Perserreich (König Darius, 550-486 v. Chr.) wie das Römerreich berühmt; beide rechneten schon mit Entfernungen großen Ausmaßes. Beiderorts waren, wie bis heute, Staatsinteressen im Spiel. Je ferner die Grenzen, um so wichtiger war es für die Staatslenker, rasch und häufig unterrichtet, über Gefahren aufgeklärt zu werden. Die Schnelligkeit war, soweit damals möglich, erreicht; noch nicht die Rückkehr, die ohne bessere Organisation gewiß oft ein Leerlauf war. Der Absender trug dem Rechung, indem es Sitte wurde, nicht nur persönlich gehaltene Briefe abzufassen, sondern Sammelnachrichten über Freunde, Zeitereignisse, Unglücks- und Todesfälle, wie wir sie heute den Zeitungen entnehmen, einzubeziehen, und er erwartete durchaus, daß der Empfänger diese Berichte seinerseits einem größeren Bekanntenkreis weitergab. Gegendienste wurden erwartet; bei der Ungewißheit der Reisedauer, die sich auf Wochen erstrecken konnte, war es dem fernen Freunde erschwert, zeitgerecht für den Boten Rückmeldungen bereitzuhalten. Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts bestanden im Fernostverkehrs ähnliche Schwierigkeiten: bei drei Wochen Beförderungsfrist konnte man z.B. von Angehörigen oder Freunden erst nach sechs Wochen eine echte Antwort erwarten; traf ein Gegenbrief früher ein, bezog er sich noch nicht auf die eigenen Meldungen, Fragen oder Sorgen.

Im Mittelalter, mit engeren räumlichen Verhältnissen als denen der Spätantike und ärmlichen wirtschaftlichen Verhältnissen, fügte sich auch der Postdienst in engere Schranken. Reitende Kuriere zogen als Werber bei Heiratsplänen, mit Gesuchen um Bündnisse usw. zwischen England und Konstantinopel gewiß oft hin und her; aber solche Einzelaufträge schaffen keinen festen Verkehrsdienst. Dieser entwickelte sich besser, wo dauernde Verbindungen zum Bedürfnis wurden, vor allem innerhalb des Mönchtums und auf den Wallfahrtsstraßen nach Rom, Santiago de Compostela, ab und zu bis Jerusalem. Da waren persönliche Beziehungen, Bruderklöster, feste Herbergen und Spitäler als Austauschplätze von Nachrichten auf lange Zeit vorhanden, wobei immer noch mündliche Kunde neben gewichtigen schriftlichen Botschaften (päpstliche Schreiben, kaiserliche Privilegien, wie sie die Archive füllen) und Privatbriefen nebeneinander herlief.

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