Nachtgeräusche

Antisemitismus im Deutschen Fernsprechwesen im 3. Reich

Ausgabe

Post- und Telekommunikationsgeschichte, Regionalbereich Ost, 2000

Autor: Clemens Schwender

Seiten: 56-65

„Es mag am Bau der Apparate oder der Erinnerung liegen – gewiß ist, daß im Nachhall die Geräusche der ersten Telephongespräche mir sehr anders in den Ohren liegen als die heutigen. Es waren Nachtgeräusche.“ Als diese Erinnerung Walter Benjamins in der Aufsatzsammlung „Berliner Kindheit um 1900“ am 2. Februar 1933 in der Frankfurter Zeitung erscheint, ist seine Erinnerung an das Telefon noch von den Drohungen und Donnerworten des Vaters gegen die Beschwerdestelle geprägt. Nachtgeräusche: Die bürgerliche Idylle wird wird aufgeschreckt durch die Suggestivkraft der Stimme, die sich eines Mediums bedient. Nachtgeräusche: Von staatlich organisiertem Antisemitismus, der durch die Suggestivkraft der Propaganda daherkommt, spürt er nichts. Noch nichts.

Dass der nationalsozialistische Antisemitismus auch den Ursprung mit der privaten Telekommunikation betrifft, ist sicher für niemanden überraschend. Dennoch ist dieses Kapitel der deutschen Geschichte noch nicht hinlänglich dokumentiert. Die Repressionen reihen sich ein in die bekannten Ereignisse zwischen Ermächtigungsgesetz, Rassengesetze und Kristallnacht. Voraussetzungen sind jedoch schon in der Organisation der Telekommunikation der ersten Jahre zu finden. Das Telefonsystem steht in Deutschland von Anfang an unter staatlicher Kontrolle und ist damit bürokratischen Regelungen besonders leicht zugänglich.

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