Heinrich von Stephan (1831-1897)

Unternehmer im Dienst der Staatsverwaltung

Ausgabe

Post- und Telekommunikationsgeschichte 1997/1

Autor: Jan-Otmar Hesse

Seiten: 10-20

Der Generalpostmeister der Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung, Heinrich (von) Stephan, schien schon zehn Jahre nach seinem Tod in der Öffentlichkeit fast völlig vergessen: „Fast tragisch erscheint Stephans Ende. Während bei Fürst Bismarcks Tode alle Schlacken von ihm abfielen und sein Bild von Tag zu Tag heller leuchtete, seine historische Gestalt immer größer wurde, war Stephan mit dem Aufhören des hauptsächlich durch amtliche Fürsorge bereiteten Schaugepräges seiner Bestattung fast vergessen. Das menschliche Gefühl für den volkstümlichen Toten kam nochmals zum vollen Durchbruch – dann wurde er in weiteren Kreisen nur selten erwähnt und heute ist im öffentlichen Urteil von ihm kaum noch die Rede.“

Obgleich diese 1908 niedergeschriebene Beobachtung des Berliner Postdirektors Eduard Hildebrandt (1838-1910) von persönlichen Antipathien nicht frei war, erweist sich 100 Jahre nach Stephans Tod die Prognose als um so zutreffender, daß von diesem „kaum noch die Rede“ ist: Zwar gehört der Name Stephans unter Kennern der Postgeschichte zum elementaren Grundwissen. Selbst in Standardwerken über die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs sucht man den Namen heute dagegen vergeblich.

Damit stellt sich die Frage, woran es eigentlich liegt, daß Heinrich von Stephan, in seiner Zeit immerhin eine viel beachtete und berühmte Persönlichkeit in der Verwaltungsspitze des Deutschen Reiches, heute in Geschichtsbüchern und Schulunterricht kaum mehr auftaucht. Entgegen den vorhandenen älteren ausführlichen Beschreibungen des Privatmannes, seines „Charakters“ und seiner Persönlichkeit, soll zur Untersuchung dieser Frage insbesondere die unternehmerische Leistung Heinrich von Stephans gewürdigt werden. Als Leiter des zweitgrößten Unternehmens im Deutschen Kaiserreich waren weit weniger die Eigentümlichkeiten dieses disziplinierten und traditionsorientierten Menschen sein eigentlicher Verdienst, als vielmehr seine organisatorischen Fähigkeiten und das innovatorische Gespür. Nicht sein Frühaufstehertum, seine einfache Herkunft, die Leidenschaften für Zigarren, Wein und die Jagd sind die erwähnenswerten Aspekte der Biographie, sondern sein Anteil an dem Übergang einer traditionellen, weitgehend agrarischen Gesellschaft in eine moderne Industriegesellschaft, heute würde man sagen: sein Anteil an der Schaffung einer „Informationsgesellschaft“.

(…)