Kapitel III | Der Anspruch des Erfinders

Ausgabe

DAS ARCHIV 01/1963

Autor: Silvanus P. Thompson., B.A., D. Sc.

Seiten: 17 – 22

In unserem Jahrhundert wird die Verbreitung von Wissen so leicht gemacht, und jede neue Entdeckung und Erfindung wird eifrig begrüßt und sofort in jedem Land der Erde laut bekanntgegeben. Da ist es schwer vorstellbar, daß der Erfinder eines Instruments von höchstem wissenschaftlichen Wert, das bestimmt ist, eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu spielen, es ertragen zu haben soll, in unerkannter Verborgenheit zu leben und zu sterben. Noch schwerer kann man glauben, daß seine Erfindung fast vollständig in Vergessenheit geriet, nicht anerkannt von seiner Generation und den meisten der führenden Wissenschaftler seiner Zeit. Es ist kaum zu glauben, daß die Bemühungen, ihm Ehre und Ansehen für sein Lebenswerk zurückgeben, auf völlige Gleichgültigkeit und Verleugnung seiner Verdienste trafen. Man bestritt, daß er die Erfindung als Ziel vor Augen gehabt hatte. Philipp Reis, der Erfinder des Telephons, war der erste, der ein Instrument plante und auch ausführte, um die Töne der menschlichen Sprache und des Gesanges über eine Entfernung durch den elektrischen Strom zu übertragen. Dieser Phlipp Reis ist nicht mehr unter den Lebenden. Er kann nicht mehr die Ehren für sich selbst beanspruchen, die anderen zuteil wurden, die, so würdig sie dieser Ehren auch waren – niemand wird das leugnen -, doch nicht die ersten waren, die sie verdient. In seinem stillen Grab, in der Verborgenheit eines deutschen Dorfes, wo er seine tägliche Arbeit getan hatte, schläft er, ungestört von allem Wortgefecht. Jetzt stört es ihn nicht mehr, ob man sein Genie anerkennt und seiner Erfindung Beifall spendet, ob Unwissenheit, Verleugnung oder Neid beides schlechtmachen. Trotzdem wird die Erinnerung an ihn und sein Werk weiterleben und ihn den Nachkommen künden als einen Erfinder, dessen besondere Größe, darin bestand, nur von wenigen Auserwählten beachtet zu werden. Auch werden die nächsten Generationen um so weniger bereit sein, demjenigen die gebührende Ehre zu erweisen, der zu seiner Zeit nicht einmal Gerechtigkeit erlangen konnte. Und dabei schuldet die Welt dem armen Schulmeister aus Friedrichsdorf wahrlich mehr als nur historische Gerechtigkeit für die darbende Familie, die, statt reich zu werden, verarmte; und nicht zuletzt Gerechtigkeit für die Geduld, während die Geschichte seines Lebens und seines Werkes einschließlich der Worte, die er selbst darüber schrieb, dargelegt werden.

Die Kernfrage, für die Gerechtigkeit gefordert wird und für die zahlreiche Beweise auf diesen Seiten gegeben werden, ist nicht, ob Phlipp Reis ein Telephon erfunden hat – das wird nicht geleugnet -, sondern ob Phlipp Reis das Telephon erfunden hat. Die Ironie des Schicksals, um nicht zu sagen die seltsame Unwissenheit, die oft mit einem weniger höflichen namen bezeichnet wird, hat durch populärwissenschaftliche Schreiber, hervorragende Ingenieure oder vorzügliche Anwälte festgestellt, daß Reis‘ Erfindung überhaupt kein Instrument für die Übertragung menschlicher Sprache war -, daß es anfänglich ein reines Musikinstrument war, und daß es das immer blieb. Diese klugen Leute überreden sich selbst zu dieser Ansicht, erfinden ohne weiteres eine fragwürdige Bezeichnung und betiteln das Instrument einfach als „Ton-Telephon“! Wenn jemand unvoreingenommen es wagt, von Reis‘ Instrument als historische Tatsache zu sprechen, als von einem, das die Sprache überträgt, dann lautet die verächtliche Antwort, die er von dem erhabenen Jemand bekommt, der sich im Augenblick als Autorität gebärdet: „Ja, aber wissen Sie, es war nur ein Ton-Telephon, ein musikalisches Spielzeug, und wenn jemand hineinsang, dann bildete man sich ein, man höre die Wortedes Liedes, die während des Singens zufälligerweise zusammen mit der Musik hervorgebracht wurden. Ich habe immer die Berichte von der Übertragung der Sprache als einen Scherz angesehen: alles, was das Instrument wahrscheinlich konnte, war gelegentlich artikulierte Geräusche von sich zu geben in Verbindung mit einem musikalischen Ton. Außerdem, wissen Sie, war Herr Reis ein musikalischer Mann, der nur beabsichtigtem daß das Instrument sänge, und wenn es sprach, sprach es nur zufällig; aber solch ein Zufall geschah niemals und konnte niemals geschehen, weil die Konstruktion zeigt, daß es weder Sprache übertragen konnte noch es wirklich tat. Wenn Herr Reis wirklich das grundlegende Prinzip des deutlich sprechenden Telephons ergründet hätte, so hätte er seine Instrumente andersartig angeordnet. Und dann, wissen Sie, wenn es wirklich Sprache übertragen hätte, so hätte diese Entdeckung starke Aufmerksamkeit zu seiner Zeit erregt. Außerdem, wenn er vorgehabt hätte, daß das Instrument sprechen sollte, hätte er es das „sprechende Telephon“ genannt und nicht als ein Telephon zum Übertragen von Tönen bezeichnet. Niemand vor Graham Bell träumte jemals davon, ein „Trommelfell“ zu benutzen, um artikulierte Laute einzufangen, oder, wenn er es getan hätte, wäre er ausgelacht worden“

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