Sonne, Urlaubsträume und „Gelbe Gefahr“

Motorroller-Fahrer, das sind für Christian Thürmer, der im Museum für Kommunikation in Frankfurt die Fahrzeuge betreut, „verhinderte Autofahrer“. Spritzschutz von unten, bequeme Fahrweise – sein Ding ist es nicht unbedingt. Aber die Bella von Zündapp, ist das nicht etwas ganz anderes?

Auf Facebook jedenfalls schwärmt die „Scuderia Heini“ vom legendären Heini Hunkenschröder, der 1963 mit Werner Junker am 24-Stunden-Rennen auf der Avus teilnahm und mit 98,9 Kilometer pro Stunde den zweiten Platz bei den Rollern einfuhr. Und die Bedingungen waren damals nicht die Besten: „…jeder sehnt nun die karierte Flagge herbei. Langsam beginnt es nochmal zu nieseln, man fröstelt. In den Boxen kochen sie Tee, und ein Mannschaftsbetreuer schenkt uns ein paar Würstchen; die Rollerfahrer sind nicht weich geworden auf den praktischen Damen-Zweirädern, wie haben die nur mit ihren trüben Funzeln die Dunkelheit gemeistert?“ So fragte sich ein Augenzeuge, der damals dabei war beim Spektakel in Berlin, und ein milder Spott schwingt mit: Damen-Räder!

10 Jahre zuvor, 1953, hatte Zündapp die Produktion der Bella gestartet, zu einer Zeit, als Frauen noch eine Erlaubnis von Vater oder Ehemann mitbringen mussten, um überhaupt den Führerschein machen zu dürfen. Da war es höchste Zeit für Zündapp, in den Rollermarkt einzusteigen, denn schon seit 1951 bevölkerten der Goggo Roller der Firma Glas, die Lambretta von NSU und eine Reihe kleinerer Konkurrenten die Straßen der jungen Republik.

Seit 1921 produzierte Zündapp in Nürnberg Motorräder am Fließband; die Firma hatte sich in den Jahren danach zu einer der bedeutendsten Motorrad-Fabriken Europas entwickelt und 1950 Furore gemacht mit dem schweren Zweirad KS 601, auch als „Grüner Elefant“ bekannt.

In Italien hatte wenige Jahre zuvor die Firma Piaggio die erste Vespa auf den Markt gebracht, das Entchen „Paperino“, sparsam im Verbrauch und leicht zu fahren. Von diesem italienischen Zweiradwunder hatte sich Andreas Glas beim Bau seines Rollers inspirieren lassen. Bei Zündapp schielte man dagegen zunächst nach der Parilla-Lizenz eines Herstellers mit Sitz in Mailand. Weil die Verhandlungen scheiterten, entstand in der Nürnberger Konstruktionsabteilung ein ganz eigener „italienischer Traum“: die Bella R 150. Sie wurde 1953 bei der ADAC Deutschlandsternfahrt präsentiert, und schaffte es auf Anhieb in die Herzen der Zweiradfans. Und der nächste große Wurf sollte bald folgen: Ab 1954 avancierte die R 200, geschmückt mit einer Margeritenblüte als neuem Markenzeichen, zur meistgebauten Bella überhaupt. „Das war kein träges Reiseschiff à la Heinkel Tourist“, kommentiert ein Artikel im Oldtimer Markt die Beliebtheit der Marke, denn schließlich war der deutsche Touren-Roller Bella mit besten Fahreigenschaften und einem starken Motor bis 1982 der meist gebaute europäische 200 Kubik-Roller.

Die Möglichkeit, sich schnell und bequem fortzubewegen, war das eine, die Verheißung von Urlaub, Sonnenschein und Amore ein zweites, zudem aber diene die Bella, so eine Werbeanzeige des Herstellers, auch dem gesunden Körper: der brauche frische Luft, Sonne und auch Regen, Wind und Sturm. „Die Bella bietet zu allen Jahreszeiten die prickelnde Windmassage eines Ski-Abfahrtslaufs, Frischlufttherapie ohne Dach und Glas, Kosmetik für die Haut!“ Es werden ferner angepriesen: die gute Straßenlage, bequeme Fußbretter und Kofferbrücken, „Anzahlung schon ab 380 Mark“, und das für eine Lackierung im Zündapp-typischen „Lidogrün“. Nicht die passende Farbe für die Post, die sich 1955 ebenfalls mit Bella-Rollern eindeckte.

Seit sich der Tüftler Karl-Friedrich von Drais vor fast 200 Jahren mit seinem Laufrad von Mannheim nach Schwetzingen gewagt hatte, war der Trend zum Zweirad ungebrochen ‒ auch bei der Deutschen Post. Zwar war Heinrich von Stephan zunächst skeptisch, was des Fahrrads Verwendung für den Postverkehr anging: Die alten Landbriefträger, denen die Bevölkerung ganz besonders vertraue, müsse man dann entlassen. Und in der Stadt seien die Straßen sowieso schon gepfropft voll, da könne man auch keine Fahrräder brauchen. Der große Visionär lag diesmal daneben – 1898, ein Jahr nach seinem Tod, wurden Dienstfahrräder in großem Umfang eingeführt. Zehn Jahre später umfasste der Zweirad-Fuhrpark rund 7 700 Exemplare, Anfang der 1930er-Jahre waren es rund 15 000 Stück.

Dazu knatterten bald auch Eil- und Telegrammzusteller auf Motorrädern durch die Straßen, und schwere Maschinen mit Beiwagen wurden für das Entleeren von Briefkästen genutzt. Mit diesen schweren Kalibern unter anderem der Marken Zündapp und DKW war es aber nach dem Zweiten Weltkrieg bald vorbei. Man hatte jetzt den VW Käfer, experimentierte mit der Isetta und für die Fahrten in der Stadt hatte man die Bella, gemäß Datenblatt des Posttechnischen Zentralamts belastbar mit „etwa 60 kg.“

Die Übergabe von über 100 Bella-Motorrollern Typ R 200 an die Deutsche Bundespost im Fabrikhof der Zündapp-Werke in Nürnberg am 14. Juli 1955 wurde postgerecht inszeniert

Die Übergabe von über 100 Bella-Motorrollern Typ R 200 an die Deutsche Bundespost im Fabrikhof der Zündapp-Werke in Nürnberg am 14. Juli 1955 wurde postgerecht inszeniert

Zu Werbezwecken durfte ein Zusteller(darsteller) sofort eine Probefahrt mit Kundenkontakt absolvieren

Zu Werbezwecken durfte ein Zusteller(darsteller) sofort eine Probefahrt mit Kundenkontakt absolvieren

Ein Bella-Kenner erinnert sich an die Zeit, als die Bella noch „voll rangenommen wurden und ziemlich gescheucht“, denn nicht zuletzt wegen der Erfolge der Zündapp-Roller bei der Wintersternfahrt habe die Post geordert: „Im Wesentlichen waren die 200er Modelle von der R 200 bis zur R 204 im Einsatz“. Davon gab es vier Ausführungen, „normal“ in Gelb, die Eilbotenausführung mit Gepäckbrücke, Spanngurten und Ratsche, ein Bella-Gespann mit Kasten-Beiwagen und eine Bella mit Paketkasten hinten, dem „Berliner Kasten“.

Technische Zeichnung einer Zündapp-Bella 200 ccm, Seitenansicht, die auf der Rückseite des Datenblatts des Posttechnischen Zentralamts in Darmstadt von 1964 abgebildet ist

Technische Zeichnung einer Zündapp-Bella 200 ccm, Seitenansicht, die auf der Rückseite des Datenblatts des Posttechnischen Zentralamts in Darmstadt von 1964 abgebildet ist

Technische Zeichnung einer Zündapp-Bella 200 ccm, Aufsicht, die auf der Rückseite des Datenblatts des Posttechnischen Zentralamts in Darmstadt von 1964 abgebildet ist

Technische Zeichnung einer Zündapp-Bella 200 ccm, Aufsicht, die auf der Rückseite des Datenblatts des Posttechnischen Zentralamts in Darmstadt von 1964 abgebildet ist

Auch die Polizei setzte damals in einigen Regionen auf die Fahrqualitäten des Zündapp-Rollers: „Die raue Luft des Teutoburger Waldes, die winkeligen Straßen und offene Besiedelung, hier waren Zuverlässigkeit, Kraft und überlegene Fahrwerksqualitäten bei der Verbrecherjagd gefragt“, kommentiert ein Facebook-Autor den Einsatz des Rollers im Gebiet Westfalen/Lippe.

Bei der Post waren die Bella-Fahrer bei jedem Wetter unterwegs, rund 150 Kilometer täglich, um Eilbriefe und Telegramme oder Eilpakete zuzustellen oder um Telefongespräche anzumelden, denn noch längst hatte nicht jeder Haushalt Telefon. Wer sich nicht an die vorschriftsmäßigen 50 Kilometer pro Stunde in der Stadt hielt, musste 10 Mark Strafe zahlen – viel Geld bei 300 Mark Monatslohn. Trotzdem wurde die Bella, gerühmt für ihre gute Straßenlage, gern bis zur Schräglage ausgereizt – bis es Funken sprühte, weil die Ständer den Boden streiften. „Das trug den Berliner Eilbotenfahrern den Spitznamen „Die Gelbe Gefahr“ ein“, schrieb Jürgen Gubitz im Bella-Rundbrief 1993.

Die Telegrammzustellung erfolgte oft mit dem Motorroller oder wie auf dieser Zeichnung mit dem Motorrad

Die Telegrammzustellung erfolgte oft mit dem Motorroller oder wie auf dieser Zeichnung mit dem Motorrad

Weit über 200 gelbe Bella-Roller waren bis Ende der 1960er-Jahre bei der Bundespost im Dienst, aber mit den 1970er-Jahren wurden sie nach und nach von 50 Kubik-Fahrzeugen wie dem Roller RS 50, ebenfalls von Zündapp, dem Moped Herkules Lastboy, oder von vierrädrigen Zustellfahrzeugen abgelöst. Erhalten sind sie bei der Museumsstiftung im Depot in Heusenstamm, wo sie ihren Ruhestand genießen und sorgfältig gepflegt werden von Christian Thürmer. Denn ja, da stimmt auch der passionierte Motorrad-Fan zu, „die Bella, das war schon etwas ganz Besonderes“.

Bella im Ruhestand: im Depot des Frankfurter Museums für Kommunikation in Heusenstamm steht der R 200 in postgelb RAL 1005 vor dem Zündapp Nachfolger mit 50 Kubik

Bella im Ruhestand: im Depot des Frankfurter Museums für Kommunikation in Heusenstamm steht der R 200 in postgelb RAL 1005 vor dem Zündapp Nachfolger mit 50 Kubik

 

Literatur und Quellen:

Brief von Matthias Henze an Jürgen Küster, Museum für Kommunikation, vom 4.4.1994, Betreff: Post-Bellas

Konrad Buschmann: Da ging die Post ab, die Geschichte der Motorisierung der Post, Trier o.J.

Matthias Henze, Andy Schwietzer: Blumenkinder, in: Oldtimer Markt, Heft 5, 1997

Rundbrief Bella, Mitteilungsblatt der Zündapp-Bella-IG, Nr. 36, Dezember 1993

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