Die Deutsche Reichspost und der 20. Juli 1944

Ausgabe

Post- und Telekommunikationsgeschichte 1994/1

Autoren: Wolfgang Lotz, Gerd R. Ueberschär

Seiten: 47-52

Das Attentat von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler am 20. Juli 1944 traf die Führung des Reichspostministeriums in Berlin ebenso unerwartet wie die NS-Führung insgesamt. Eigentlich könnte man vermuten, daß die Spitze des Postministeriums in irgendeiner Form über die sich während des Krieges immer stärker verdichtenden Kontakte der Hitlergegner, die in zahlreichen Kommandostellen saßen, durch die Kontrolle des öffentlichen Kommunikationswesens Informationen erlangt hätte – etwa durch die Arbeit oder technischen Möglichkeiten der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost. Denn auf anderem Gebiet hatte sich Reichspostminister Ohnesorge mit den Abhörerfolgen seiner Forschungsanstalt besonders gebrüstet und war sehr darum bemüht gewesen, daß deren bis Ende 1943 entzifferten Aufzeichnungen von Telefongesprächen über den Atlantik zwischen den alliierten Regierungsstellen in London und Washington über den Reichsführer SS Heinrich Himmler direkt Hitler vorgelegt wurden, wie dies überlieferte Unterlagen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und im Bundesarchiv Koblenz bezeugen.

Es überrascht deshalb auch nicht, daß Ohnesorge im Frühjahr 1942 über den ihm gewogenen und vertrauten Chef des SS-Hauptamtes, SS-Gruppenführer Gottlob Berger, an Himmler die Mitteilung weitergeben ließ, er habe Hinweise erhalten, daß der Chef der Wehrmachtnachrichtenverbindungen im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), General der Nachrichtentruppe Erich Fellgiebel, der zugleich Chef des Heeresnachrichtenwesens im Generalstab des Oberkommandos des Heeres (OKH) war, „allen Ernstes“ danach strebe, ihn von seinem Ministeramt zu verdrängen und seine Nachfolge als Reichspostminister anzutreten. Berger und Ohnesorge bewerteten diese informellen Verdachtshinweise als Teil der wiederholten Bemühungen von verschiedenen Wehrmachtsdienststellen, sich während des totalen Krieges über die eigentlichen militärischen Aufgabenbereiche hinaus auszubreiten und sich dabei auch Funktionen ziviler Ressorts anzueignen.

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