Die Diskussion um die Stephan-Nachfolge im Frühjahr 1897

Ausgabe

Post- und Telekommunikationsgeschichte 1998/2

Autor: Jan-Otmar Hesse

Seiten: 111-116

Noch viel größer als in der heutigen historischen Forschung ist wohl die Bedeutung Stephans an der Spitze der Postverwaltung für die Zeitgenossen des Deutschen Kaiserreiches am Ende des 19. Jahrhunderts einzuschätzen. Postverwaltung und Stephan wurden damals nicht selten als Synonyme genannt, die Postboten bezeichnete man auch als Stephansboten oder gar Stephansjünger. Angesichts einer solchen Stilisierung und Mythisierung eines einzelnen, der ohne das übrige Personal der Postverwaltung indes undenkbar gewesen wäre, ist es wenig verwunderlich, daß es nach Stephans Tod Anfang April 1897 schwer war, einen geeigneten Nachfolger zu finden.

Stephan hinterließ schon allein deswegen ein regelrechtes Machtvakuum, weil er als einziger der politischen Reichselite aus der Bismarckzeit sich hatte halten können. Mit 27 Amtsjahren war er der mit weitem Abstand dienstälteste „Minister“ seiner Zeit.

Für eine Nachfolge Stephans kam noch erschwerend hinzu, daß sich im Gegensatz zur Reichspolitik unter Bismarck seit den 1890er Jahren zunehmend auch der Kaiser und seine Vertrautenkreise in die Besetzung der Spitzenfunktionäre der Reichsverwaltung einmischten. Unter der Kanzlerschaft des Fürsten von Hohenlohe-Schlingenfürst, der allgemein als schwacher Kanzler beschrieben wird, führte Kaiser Wilhelm II. ein regelrechtes „persönliches Element“, d.h. er akzeptiere auf den Posten der Staatssekretäre der Reichsämter sowie als preußische Minister im wesentlichen nur Personen seines engsten Vertrautenkreises.

(…)