Zeitdifferenzen zwischen Ost und West

Erst seit dem 1. April 1893 laufen Deutschlands Uhren gleich

Ausgabe

Post- und Telekommunikationsgeschichte, Regionalbereich Ost, 1998

Autor: Theo Winterscheid

Seiten: 7-14

Etwa bis in das erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts hinein hatten die deutschen Postanstalten, die preußischen seit 1828, die eingegangenen Briefsendungen – von Ausnahmen abgesehen – zu stempeln, so daß aus den Abdrucken der Stempel die Laufzeit der Sendungen erkennbar war. Philatelisten vergleichen deshalb oft die Laufzeit ihrer Ganzstücke und Ganzsachen aus der Zeit der preußischen Postverwaltung mit der Beförderungsdauer, die die Post heute für die Übermittlung der Briefe an die Empfänger benötigt. Hierbei stellt man häufig fest, daß z.B. die preußische Postverwaltung im Inlandsdienst trotz erheblich langsamerer Transportmittel Beförderungszeiten erreichte, die in ihrer Kürze den heutigen ebenbürtig oder überlegen sind. Bei einem Vergleich der Leistungen darf man aber nicht übersehen, daß die Postverwaltung Preußens und des Norddeutschen Bundes sowie die Reichspost es nur unter erheblichen Anstrengungen bei werktäglich bis zu zehn, teils noch mehr Protein- und -abgängen und bis zu vier oder fünf Zustellungen bewirkte, daß viele Sendungen noch am Einlieferungstag ihren Empfängern zugestellt oder zur Abholung bereitgestellt wurden. Dieser Beförderungs- und Zustellaufwand wäre allerdings mit den heutigen Beförderungsentgelten kostenmäßig nicht abzudecken.

Bei der Feststellung der Laufzeit der Briefsendungen aus dem 19. Jahrhundert werden aber oft die bis zum 31. März 1893 bestandenen Uhrzeitdifferenzen zwischen Einlieferungs-, Umarbeitungs- und Bestimmungsorten sowie die Beförderungsrichtung Ost-West oder West-Ost – also mit der Uhr oder gegen sie – nicht berücksichtigt. Die Kenntnis der Zeitdifferenzen ist besonders bei der Leitweg- und Laufzeitverfolgung über mehrere Reit-, Fahr- und/oder Bahnposten, also bei ein- oder mehrfach gebrochener Linienführung mit Wartezeit bis zum Übergang auf einen anderen Kurs, erforderlich. Noch vor wenig mehr als einhundert Jahren, genauer vor der im Jahre 1893 eingeführten Mitteleuropäischen Zeit, drückten z.B. die Uhrzeitangaben 8-9 (mit oder ohne Angabe der Tageszeit, z.B. A) eines Königsberger Poststempels und eines Aachener Stempels nicht die Gleichzeitigkeit aus.

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