„Eine Erfindung wandert ins Museum“, so begann vor fast 15 Jahren ein Artikel von Jürgen Bräunlein im Heft über die Polaroid-Kamera, doch es sollte anders kommen. Ob aus dem Bedürfnis heraus, neben vielen digitalen Produkten auch analoge Medien zu nutzen und damit einzigartig zu sein, oder einfach, weil es immer noch Spaß macht, wenn die Kamera ein Bild „ausspuckt“ – Polaroid „lebt“ auch 75 Jahre, nachdem Edwin Land seine Polaroid 95 vorgestellt hat. Statt „Aufstieg und Fall von Polaroid“ kann es heute gut und gern „Aufstieg und neue Erfolge“ heißen.

Schon 1937 gründete der damals 28-Jährige in Boston die „Polaroid Corporation“ und ließ den Namen Polaroid urheberrechtlich schützen. Bei Kriegsende hatte das Unternehmen 1 450 Beschäftigte. Mit der Erfindung der „Land camera“, einer „Ein-Minuten-Kamera“ vom Typ „folding“, die er am 21. Februar 1947 auf der Versammlung der „Optical Society of America“ vorstellte, wurde Edwin Land schließlich berühmt. Die revolutionäre Neuerung lag weniger in der Kamera als im dazugehörigen Film. Erstmals kam ein trockenes Schnellentwicklungsverfahren zum Einsatz, das noch an Ort und Stelle das belichtete Negativ auf ein Positiv übertrug. Unmittelbar nach der Belichtung wurden die Polaroid-Bilder seitlich aus der Kamera gezogen, wobei der Film zwischen zwei Walzen hindurch lief. Dabei verteilte sich eine Entwicklungspaste zwischen Ober- und Unterseite des Polaroidfotos, also zwischen Positiv und Negativ. Nach einer guten Minute konnte das fertige Positiv schließlich abgezogen werden. Was für eine Erfindung! Alles was eine Dunkelkammer bieten musste – Vergrößerer, Becken für Entwickler, Stoppbad, Fixierer und fließendes Wasser − war jetzt mehr oder weniger in einen einzigen Film untergebracht. The New York Times schrieb: „Alles scheint so einfach und gewöhnlich, dass man sich fragt, warum es nicht schon vorher gemacht worden ist.“ Am 26. November 1948 kam die Kamera als „Polaroid 95“ offiziell auf den Markt. Das Gehäuse war zwei Kilo schwer und aus Gussaluminium im Stil eines Klappbetts mit braunem Kunstlederüberzug.

1963 führte Polaroid für die Kameras den Farbfilm ein. Zwar konnte der leichte Grünstich der entwickelten Fotos nie restlos getilgt werden, aber aus der Not wurde eine Tugend gemacht und der Farbstich zum Markenzeichen.

Für Land war die Polaroid-Kamera auch eine neue Form, sich künstlerisch auszudrücken. Bereits 1949 machte er Ansel Adams zu seinem Mitarbeiter. Mit gestochen scharfen, monumentalen Schwarzweiß-Panoramen hatte sich der Landschaftsfotograf bereits einen Namen gemacht. Seine Aufgabe bestand nun darin, die jeweils neuesten Polaroidfilme zu testen. Künstler, das wusste Land, bewerten aus einem anderen Blickwinkel als Techniker. Sie wollen das Medium bis an die Grenzen des Möglichen ausschöpfen, weil es ihnen noch ums letzte Detail geht. Wesentliche Qualitätsverbesserungen bei Polaroid sind Adams zu verdanken. Später wurden ihm weitere junge Fotografen zur Seite gestellt, darunter Nick Dean, John Benson und William Clift. Die damals entstandenen Fotografien bildeten die Basis für die Polaroid Collection, die Ende der 1960er-Jahre von Edwin Land gegründet wurde und heute 22 000 Bilder von 1 000 Fotografen umfasst.

Doch noch war die Polaroidkamera nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das änderte sich mit einem Paukenschlag, als das neue Modell SX-70 in Amerika öffentlich vorgestellt wurde. Edwin Land schaffte es damit am 27. Oktober 1972 auf das Cover der Zeitschrift LIFE: „Ein Genie und seine magische Kamera. Dr. Edwin Land von Polaroid führt seine Erfindung vor.“ Auf dem Bild sieht man Land, der auf den Auslöser einer SX-70 drückt. Umringt ist er von Kindern, deren Hände nach dem Bild greifen, das aus dem Schlitz der Kamera herauskommt. Mit der SX-70, einer Spiegelreflexkamera mit Batterie im Filmpack, beginnt eine neue Ära der Sofortbildfotografie. Die Kamera ist preisgünstig und lässt sich zusammengeklappt in der Jackentasche verstauen.

Mit der SX-70 hatte die Polaroidfotografie endgültig den Massenmarkt erobert. Edwin Land starb 1991 als angesehener Mann, geehrt mit vielen Auszeichnungen. Den Niedergang seiner Erfindung, der ab der Jahrtausendwende nicht mehr aufzuhalten war, hat er nicht mehr erleben müssen. Die Digitalisierung hatte jetzt die Massenfotografie erreicht. 2007 stellte Polaroid die Produktion von Sofortbildkameras ein, seit letztem Jahr werden auch keine Sofortbildfilme mehr hergestellt. Nur noch bis Ende 2009 sollen die Lagerbestände reichen. (DAS ARCHIV, 2/2009)

Auf der Seite www.polanoid.com, von Liebhabern des Sofortbilds in Wien ins Leben gerufen und inzwischen etabliert als Archiv für Polaroid-Aufnahmen aus aller Welt, finden Polaroidfreunde Gleichgesinnte und machen, sortiert in zahlreichen Rubriken, ihre digitalisierten Sofortbilddaten publik. „Hungry for real analog, good smelling pictures in a digital world, we decided to swim against the stream and to reset our focus and start the biggest, best and most instant online photo community ever. Stuffed with millions of Polaroids, collected and uploaded by Polaroid addicts all over the planet“, heißt es auf der Webseite über deren Gründung.

Polaroid 600, Polaroid Image System und Polaroid Makro-Kamera

Tatsächlich erlebte das klassische Polaroid-Foto, jetzt kurz vor seinem befürchteten Verschwinden, ein bemerkenswertes Comeback. Die legendäre weiße Rahmung galt nun für so angesagt, dass sie selbst für digitale Fotos nachträglich verwendet wurde. Doch zunächst hatte es Anfang der 2000er Jahre so ausgesehen, als sei Polaroid am Ende. Die Firma gab 2008 bekannt, dass sie die Produktion der Filme einstellen werde, Fujifilm hatte den Markt erobert.

Dank einiger Fans der analogen Fotografie erfand sich Polaroid als „The Impossible Project“ neu. Die Analog-Enthusiasten aus Wien übernahmen eine ehemalige Fabrik, in der Polaroid-Filme hergestellt worden waren, und es gelang, neue Produkte – Filme und Kameras − zu entwickeln. Einer der Anteilseigner war Wiacezlaw „Slava“ Smolokowski, ein polnischer Industrieller und Investor, der 2014 bei The Impossible Project einstieg und die Firma 2017 mit der PLR IP Holdings, LLC übernahm. Nun geführt von Oskar Smołokowski, nannte sich das Unternehmen „Polaroid Originals“ – heute nur noch „Polaroid“ −, und bietet seit 2019 auf www.polaroid.com unter den Marken Polaroid, Polaroid One Step, Polaroid SX 70, Polaroid Spectra und Polaroid Now neben Kameras und Filmen auch Drucker an – und digitale Produkte.

 

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