Telefonzellensammlung in Heusenstamm, 2020

Am 15 Januar 2023 wird es fünfzig Jahre her sein, dass im Fernsehen die erste Folge der Serie Ein Herz und eine Seele lief. Undenkbar, dass sie ohne Telefonzelle zum Kultklassiker geworden wäre. Künftige Fernsehformate werden ohne das Stadtmöbel auskommen müssen, denn bis Februar 2023, das hat die Deutsche Telekom nach Angaben der Stuttgarter Nachrichten den kommunalen Spitzenverbänden und Rathäusern erklärt, würden alle Telefonzellen abgeschaltet. Bereits am 21. November wird die Münzzahlung an allen Fernsprechstellen bundesweit deaktiviert, Ende Januar folgt die Abschaltung der Telefonkartenfunktion. 12 000 öffentliche Telefonzellen gibt es noch, Anfang 2019 waren es noch rund 17 000, Anfang 2025 soll die allerallerletzte Zelle abmontiert sein.

Die Standorte könnten doch noch als „small cell“ dienen oder als kleiner Kabelverzweiger für Glas oder Kupfer, seien an zentralen Orten noch als Notrufsäule oder als Informationspunkt zu nutzen. Und man solle sie wenigstens an Bahnhöfen belassen! Die Fragen, Kommentare und Argumente der Menschen gegen das endgültige Verschwinden von Telefonzellen in Stadt und Land sind so zahlreich wie es die nützlichen Einrichtungen einst waren.

Die beliebteste neue Nutzung ausrangierter Telefonzellen ist die als Büchertauschstelle, so auch in Berlin an der Rüdesheimer Straße. (Foto: Ina Steiner, 2014)

Im Januar 2022 hat die Telekom bereits über die sinkende Nachfrage informiert und darüber, dass diejenigen Zellen, die nicht oder kaum genützt würden, abgebaut würden, aber keinesfalls alle. Standorte mit hoher Nachfrage wie an Flughäfen, Bahnhöfen oder Einkaufsstraßen blieben erhalten. Und jetzt wirklich gar keine mehr? Die lange Geschichte der Telefonzellen und Telefonhäuschen ging einmal mehr schon im Oktober 2019 zu Ende, als am Königsee die letzte TelH78, eine gelbe Telefonzelle, abgebaut und abtransportiert wurde.

Blau, Rot, Gelb: Telefonzellen von Reichs- und Bundespost in der Sammlung der MSPT, 2017

(Foto: Bert Bostelmann)

Es gab öffentliche Sprechstellen in Postämtern seit dem 12. Januar 1881, für die sich Nutzerinnen und Nutzer in den Anfangsjahren der öffentlichen Telefonie ein Billet kaufen mussten. Ab 1899 gingen Fernsprechautomaten mit Münzvorrichtung in Betrieb, die in Postämtern, Hotel-Lobbys oder Gaststätten eingerichtet wurden. Für 10 Pfennig wurde mit dem „Groschentelephon“ der Kontakt zur Vermittlungsbeamtin hergestellt, die mit geschultem Ohr die Echtheit der Münze am Klang erkannte und die Vermittlung vornahm. Mitte der 1920er-Jahre gehörten Telefonhäuschen mit Münzfernsprechern zum vertrauten Bild in deutschen Städten. Die Gestaltung war normiert, die Anzahl stieg: 1907 ergab eine Zählung 5753 Häuschen im Deutschen Reich, 1913 waren es 8 187, 1930 betrug die Zahl der öffentlichen Sprechstellen mehr als 60 000, in der Halle des Hamburger Hauptbahnhofs waren es bald 17 Exemplare.

Telefonzellen im Hamburger Hauptbahnhof, 1960er-Jahre

Als eigene Bauten hießen sie zunächst Pavillon, dann Kiosk, Häuschen und Zelle und sie waren in vielfältigen Variationen zu haben: rechteckig, rund, halbrund, dreieckig und achteckig und etliche mehr. Ab 1932 war ihre Gestaltung normiert, 1 x 1 Meter oder 1,13 x 1,13 Meter Grundfläche, damals außen Gelb und Blau. In der Abteilung „Hygiene im Verkehrsleben“ in Dresden reimte die Reichspost Reinliches dazu:

Hörmuschel nicht nur, auch der Trichter,

sorgfältig werden sie entseucht,

Dass der Bazillen schlimm Gelichter

So schnell es geht von dannen fleucht.

Kein Staub wird im Gehäus geduldet,

Lüftung und Wischtuch töten ihn.

Man weiß, was man dem Sprechgast schuldet,

gewissenhaft betreut man ihn.

Nicht wegen des Kirchentags in Stuttgart, wo er unter anderem eingesetzt wurde, nannte die Bundespost diesen Typ Münzsprechzelle „Telepax“

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Telefonzellen aus Holz oder Metall gelb gestrichen, die ersten Kunststoffzellen in Gelb dann ab 1978 aufgestellt. Die Zeiten, als das „Fasse Dich kurz“ das Tempo öffentlich geführter Telefonate bestimmte, waren nun endgültig vorbei, denn die Post hatte das Netz ausgebaut und ein Interesse an dessen Auslastung: „Ruf doch mal an“ propagierte die Werbung und demonstrierte auf Plakaten und in Zeitschriften ein breites Spektrum von möglichen Gesprächsanlässen. Fast alle Haushalte hatten innerhalb von 15 Jahren einen eigenen Telefonanschluss − doch weiterhin prägten Telefonzellen Ortschaften, Straßen und Plätze in Deutschland.

Abstimmung über neue Typen von Telefonzellen 1975 in Darmstadt. Die Bevölkerung war eingeladen, ihre Stimme abzugeben, und die Wahl fiel auf ein Modell, das als FeH 78 gefertigt wurde

Vor dem Thurn- und Taxis-Palais in Frankfurt standen drei Telefonzellen Typ FeH 55 in enger Nachbarschaft zu einem Briefkasten

Viel mehr noch als im Westen Deutschlands in der DDR. Dort warteten 1970 knapp 200 000 Bürger auf ein Telefon, im Jahr der Wende, 1989, waren es 1,3 Millionen. Die Zahl der Telefonzellen und öffentlichen Sprechzellen entsprach daher pro Kopf der der Bundesrepublik.

Telefonzelle in Berlin West, vor dem Brandenburger Tor, und in einer Brandenburger Neubausiedlung Mitte der 1980er-Jahre

Auf der CeBit in Hannover 1992 präsentierte die Deutsche Bundespost Telekom – es waren die frühen Jahre der Privatisierung − das Ergebnis eines langwierigen Design-Wettbewerbs. Eine neue Gestaltung der Telefonzellen in den Telekom-Farben weiß-grau-magenta. Die neue Zelle erlebte ihr letztes Hoch mit der Einführung des Euro, als Reisende aus anderen Euro-Ländern sie nutzen konnten, ohne Geld wechseln zu müssen.

„Zu den besten Zeiten hatten wir über 100.000 öffentliche Telefone in Deutschland, davon waren circa 50.000 von der Art, wie wir sie heute abgebaut haben“, sagte Telekom-Projektleiter Günter Nerlinger, als 2019 in Bayern die letzte Gelbe abgetragen wurde. Und: „Wir entschließen uns, das Telefonhäuschen vom Netz zu nehmen, wenn der Umsatz pro Monat dauerhaft unter 50 Euro absinkt, weil die Kosten natürlich wesentlich höher sind.“ Ausgaben, das sind Stromkosten, Reinigungs- und Wartungsarbeiten, und auch Reparaturen, wenn etwas beschädigt wurde. Diese Kosten sind ein Vielfaches höher als die Einnahmen durch ein paar wenige Gespräche im Monat.

Beschmutzt, beschädigt, zerstört: Vandalismus und Diebstahl schädigten die Betreiber von Telefonzellen zu allen Zeiten  

Defekt waren Telefonzellen häufig, in der DDR wie im Westen und dann im geeinten Deutschland. Ob nun das Glas eingeschlagen wurde, die Telefonbücher zerfetzt, die Hörer abgerissen oder gar das ganze Möbel angezündet. Nicht zuletzt der Vandalismus war Ursache dafür, dass die Telekom ab dem Jahr 2000 unrentable Zellen durch Telestationen ersetzte, ohne Schall- und Wetterschutz und ganz ohne Zimmercharakter. 2003 dann das Basistelefon, auch als Schandpfahl geschmäht, das aber entgegen den 7 500 Euro teuren Zellen nur 500 Euro kostete.

Basisstation und Telestation, die ab den 2000er-Jahren Telefonzellen zu ersetzen begannen

In den Sammlungen der MSPT lebt weiter, was im öffentlichen Raum verschwunden ist. Jeden ersten Freitag im Monat lädt die Sammlung des Museums für Kommunikation ein zur Besichtigung und Führung im Depot in Heusenstamm, wo zahlreiche Telefonhäuschen, -zellen und -stelen aufbewahrt werden. Es befindet sich zudem ein Objekt in der Sammlung, das Zeugnis ablegt vom Leben, das in Telefonzellen stattgefunden hat. Martin Schack und Michael Schreiner sammelten Mitte der 1990er-Jahre Fundstücke in Telefonzellen, die sie sich gegenseitig zusandten. Von Notizzettel über die Stellenanzeige bis zum Zigarettenstummel bilden diese „Stichproben“ ein Kaleidoskop aus „Spuren des Gewöhnlichen“. Und war es nicht ein Glück, dass es wenigstens für wenige Jahre die schönen Telefonkarten gab

Telefonkarte von Ottmar Hörl, 2000

LITERATUR

Margret Baumann, Helmut Gold: MenschTelefon, Aspekte telefonischer Kommunikation, Frankfurt 2000

Bernd Flessner: Vom Postpavillon zum Basistelefon: Eine kurze Geschichte des Telefonhäuschens, in: DAS ARCHIV, Heft 1/2007

Lioba Nägele: Altes Haus mit neuen Aufgaben: Eine Bildstrecke zu Telefonzellen und Fernsprechhäuschen, in: DAS ARCHIV, Ausgabe 4/2014

Eckart Schörle: Eine kleine Geschichte der Telefonzelle, 2019

 

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