Der Fotograf Timm Rautert porträtierte 1974/75 Bürger in ihrer vorgeschriebenen Berufskleidung, die ihre Funktion und ihren Status zum Ausdruck brachte. Im Studio, vor einem neutralen Hintergrund, hatten „die Porträtierten somit gewisse Möglichkeiten der Selbstinszenierung: Sie konnten und mussten sich entscheiden, ob sie Individualität zum Ausdruck bringen oder sich ganz als Repräsentant ihrer Berufsgruppe darstellen wollten“, schreibt der Verlag über das Projekt, das erst viele Jahre später, 2007, als Buch erschien.

Rauterts Fotografien, erstmals im Magazin der Zeit im März 1975 publiziert, stellten „Fragen zum Selbstverständnis der Menschen in einer Zeit, da die Uniform auf ihre Träger abstrahlte und weit mehr war als ein Outfit“. Darin sind die Zustellerin Monika Dilger zu sehen, eine Diakonie-Schwester, ein Rot-Kreuz-Mitarbeiter, ein Soldat, ein Feuerwehrmann und ein Pfadfinder, jeweils in Arbeitskleidung.

Die deutsche Buchausgabe Deutsche in Uniform ist vergriffen, aber auf Englisch ist das Buch unter dem Titel Germans in Uniform noch beim Steidl Verlag in Göttingen zu beziehen. Auf dem Cover der englischen Ausgabe ist Arnold Rüther, ein Polizist in Motorradkluft, Angehöriger der Düsseldorfer Motorradstaffel SBI-FK (Schutzbereich Funk-Krad-Gruppe I), abgebildet – im Unterschied zur deutschen Fassung, die den heiteren Karnevalsprinzen „Prinz Jupp“ Josef Steinhausen (+2013) zeigt, einen ernst blickenden Mann von 22 Jahren.

Die Rüther-Fotografie, so verrät das Internet, wurde 2012 vom Busch-Reisinger Museum der Universität Harvard angekauft. Und unter „Landtag intern“ vom März 1979 findet sich im Netz Arnold Rüther als Retter in der Not, weil er einem Busfahrer, der sich – wie es so vielen Menschen in Düsseldorf ergeht – total verfranzt hatte, den Weg zum Landtag wies.

Arnold Rüther, 2014 (Foto: WP/Ausschnitt)

Als Rüther 2014 als Bezirksbeamter der Polizei in Olsberg in Pension ging, war er in legerer blauer Stoffuniform in regionalen Zeitungen zu sehen. Die hat er damals abgelegt, nicht aber seine Begeisterung für zwei Räder. Auch wenn er sich verkleinert hat auf einen Roller, 300 Kubik – zum Harley-Treffen ist er jedes Jahr in Düsseldorf. Dort habe er sich auch die Ausstellung mit den Fotos von damals angesehen, erzählt er am Telefon, und auch einen Bekannten getroffen, der wusste, Timm Rautert lebe jetzt in Duisburg.

 

Nicht Rautert selbst hatte damals die jeweiligen Personen für das Uniform-Projekt ausgewählt, sondern im Vorfeld die Organisationen angeschrieben. „Es sollte ein Prototyp sein“, kommentiert der Fotograf in einem Beitrag zur Ausstellung „SUBJEKT und OBJEKT. FOTO RHEIN RUHR“ in der Kunsthalle Düsseldorf, die 2020 über 100 Positionen und rund 600 Arbeiten der zeitgenössischen Fotografie zeigte, die Auswahl der Porträtierten.

Ein Jahr später zeigte das Museum Folkwang eine Retrospektive zu Rauterts Werk, der ab den 1980er auch die Arbeitswelten in der Auto- und Computerindustrie in Langzeitdokumentationen festgehalten hat („Gehäuse des Unsichtbaren“).

 

Arnold Rüther trägt auf der Fotografie von 1975 seine blaugrüne Lederkluft, wie sie für Motorradfahrer als Schutzkleidung üblich war, und hat einmal den Helm in der Hand, einmal auf dem Kopf (Buchrückseite). Die Uniform der Polizei war kurz zuvor bundesweit einheitlich in Moosgrün mit senfgelbem Hemd ausgeliefert worden. Bis zur Polizeireform ab 1972 hatte die Polizei in den einzelnen Bundesländern Uniformen in unterschiedlichen Farben – schwarzblau in Bremen, blau in Berlin, hellgrau in Baden-Württemberg.

Für das neue Polizei-Gewand in Grün hatte „Mode für Millionen“- Designer Heinz Oestergaard gesorgt, der von 1967 bis 1985 für die Mode beim Versandhaus Quelle zuständig war und gleichzeitig mit seinem „Studio für kreatives Design“ Haute-Couture und Uniformen entwarf. „Nach den Mercedes-Fernfahrern und den ADAC-Mitarbeitern verpasste er den deutschen Polizisten ihre unverkennbare grün-gelbe Uniform“, heißt es in einem Porträt des Deutschlandfunks, das ihn zitiert mit Überlegungen zum Schnitt: „Po, Schritt und Oberschenkel mussten bei der Hose gut sitzen und durften nicht in einem sackartigen Schlabberzeug verloren gehen.“

Bis in die 2000er-Jahre war grün die Farbe der Wahl, dann ab 2004 wieder stahlblau – die Website der Polizei von NRW gibt die Erklärung dazu: „Die neue Dienstkleidung folgt dem europäischen Trend zur dunkelblauen Farbe. Viele Menschen verbinden diese Uniformfarbe länderübergreifend mit der Polizei. Die neue Uniform der NRW-Polizei symbolisiert auch das zusammenwachsende Europa.“

Fotos: Sächsisches Innenministerium, 2009

Ausgemusterte grüne Uniformen gab es aber auch schon, ehe sie Zug um Zug in ganz Deutschland durch blaue ersetzt wurden. Sichtbar wird dies etwa in einer Arbeit des Künstlers Peter Rösel, die er Ende der 1990er-Jahre im Museum für Moderne Kunst Frankfurt zeigte und die seine Karriere prägte: ein Seerosenteich aus Polizeiuniformen, Unterwäsche und Knöpfe inklusive. Eine sehr subtile Form, seine Skepsis gegenüber der Polizei zum Ausdruck zu bringen!

Museum für Moderne Kunst Frankfurt (Hg.): Peter Rösel, Ausstellungskatalog 1998

Foto: Herlinde Koelbl (Hygienemuseum Dresden)

Ein ähnliches Unterfangen wie Timm Rautert verfolgte einige Jahrzehnte danach Herlinde Koelbl, die für ihr Projekt „Kleider machen Leute“ ebenfalls Menschen in Berufskleidung fotografierte: „Die Uniform entindividualisiert den einzelnen Menschen, aber sie verleiht dem Träger auch Status und die Gewissheit, einer besonderen Gruppe anzugehören − nicht selten einer Elite. Uniform kann aber auch das Gegenteil von Aufstieg bedeuten: Als Symbol der Degradierung, der Demütigung wie zum Beispiel bei der Anstaltskleidung.“ (Deutsches Hygienemuseum Dresden) Koelbl stellte, im Unterschied zu Rautert, dem Foto der Person in Uniform privatere Aufnahmen in „Zivil“ gegenüber, und kontrastierte so umso mehr die Bedeutung von Formen, Farben, Streifen, Schulterklappen oder auch Schürzen als Teil der Berufskleidung.

https://steidl.de/Buecher/Deutsche-in-Uniform-1115323643.html.

https://www.museumsfernsehen.de/timm-rautert-deutsche-in-uniform-in-der-kunsthalle-duesselorf/

https://www.dw.com/de/heinz-oestergaard-der-mann-der-die-bundesrepublik-einkleidete/a-19465437

 

https://www.dhmd.de/ausstellungen/rueckblick/herlinde-koelbl

 

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