Wirtschaft, Technik, Kultur – ein kleines Turm-Potpourri

Im Wirtschaftsteil war es am 14. Juli 2022 die Meldung des Tages: Deutsche Telekom verkauft Funkturmsparte an US-Finanzinvestoren. Das Unternehmen, das seit 2016 einen Teil seiner Türme in der Einheit GD Towers zusammengefasst hat, zu der vor allem die Deutsche Funkturm GmbH (DFMG) mit Hauptsitz in Münster gehört, hat seine Türme verkauft? 

Konkret sind es wohl 51 Prozent der Anteile im Wert von 17,5 Milliarden Euro, die an DigitalBridge und Brookfield gingen. Tim Höttges, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, bewertete das Geschäft als Umsetzung der „strategischen Agenda“ des Unternehmens: „Wir machen den Wert unseres Funkturmgeschäfts sichtbar und schaffen damit Wert für unsere Aktionäre“. 

Dass Funk- und Fernsehtürme mehr sind als ein Geschäft, belegen zahlreiche Publikationen, Artikel und Phänomene rund um die stählernen Riesen, von denen wir einige zusammengestellt haben.

 

„Funkturm Berlin, wir weihen dich ein.

Berlin wird sein, und du wirst sein.

Wahre deine eiserne Rippe,

allzeit vor schnödem Bruch…“

Wenn man über die Deutsche Post und über die Telekom sonst nichts Positives sagen könnte − Gott bewahre −, eines steht fest: Von der Post sind die schönsten Adventskalender, und die Deutsche Funkturm, eine Tochter der Telekom, hat über Jahre die originellsten Weihnachtskarten überhaupt verschickt: Daumenkino, Kerzenhalterdekoraktion oder ein Quartett.

Wo steht welcher Turm? Würde Sie es wissen?

Rudolf Pospischil, Charman und Managing Director bei der Deutschen Funkturm GmbH von 2002 bis 2014, hatte genauso wie Klaus Zinnhobler, Manager beim Unternehmen, Sinn für die kulturellen Aspekte der Türme; so förderte die Deutsche Funkturm eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt (2009/2010), die „rund 250 Exponate auf Drehtellern, weißen Regalen aus Styroporplatten und Setzkästen“ zeigte. Die These der Ausstellungsmacher:

„Kein anderer Gebäudetyp war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch so aufgeladen wie der neue Typus Fernsehturm.“

Der Katalog zur Ausstellung über Fernsehtürme im Architekturmuseum in Frankfurt ist heute günstig Second Hand zu bekommen; er enthält eines der bekanntesten Berliner Fernsehturm-Motive: einen Döner-Spieß, zugerichtet als Turm.

Weniger „kühner kreativer Wurf“, mehr Information, ist das Buch von Rudolf Pospischil „Der deutsche Fernsehturm. Eine politische und architektonische Grenzüberschreitung“, welches der Geschäftsführer der Deutschen Funkturm ebenfalls 2009 beim Utz-Verlag herausbrachte: Er beschreibt darin „mehr als ein halbes Jahrhundert deutscher Fernsehgeschichte“, berichtet von der politischen Brisanz der Türme im Kalten Krieg, schreibt über ihre symbolische Aufladung und ihre neue Rolle im Zeitalter der digitalen Revolution. Der Blick zurück fällt nach Stuttgart, wo nach dem Krieg der „neue Bauwerkstyp“ erfunden wurde, der „der ganzen Welt als Referenz diente“. Der Stuttgarter Fernsehturm, aus Stahlbeton mit Aussichtsplattform und Restaurant, war mehr als ein Zweckbau.

Jürgen Bräunlein hat ihn und seine Geschichte in einem Artikel im ARCHIV 4/2008 genauer beleuchtet:

„Der Stuttgarter Fernsehturm war der Vorreiter und damals eine kleine Sensation über das Schwabenland hinaus. Nach einer Bauzeit von nur 20 Monaten konnte der Stahlbetonturm am 5. Februar 1956 als erster Fernsehturm der Welt in Betrieb genommen werden. Die „Riesen-Stricknadel“ (DER SPIEGEL) wurde am Südrand des Stuttgarter Talkessels auf der Anhöhe „Hoher Bopser“ errichtet und von der Bevölkerung – ähnlich wie der Eiffelturm – zunächst vehement abgelehnt. Man geißelte den Turm als „hässlichen Betonfinger“.

Die Fernsehwellen erreichten damals nur Teile Deutschlands. Das wollte der Süddeutsche Rundfunk (SDR) ändern. Weil sein Verbreitungsgebiet im Württembergischen sehr hügelig ist, sollte in der schwäbischen Metropole ein hoher Sendeturm entstehen, der die bewegten Bilder so flimmerfrei wie irgend möglich auch nach Schwäbisch Hall und Bad Mergentheim schicken konnte.

Ursprünglich wollte man für die Ausstrahlung der Fernseh- und UKW-Radiosendungen einen der damals üblichen 200 Meter hohen, mit Drahtseilen gesicherten Stahlgittermasten erstellen. Auch ein wuchtiger hochhausähnlicher Bau war im Gespräch. Beides wurde jedoch verworfen und das Projekt öffentlich ausgeschrieben. Der Stuttgarter Ingenieur Fritz Leonhardt, der sich als Erbauer kühner Brücken – während der Nazi-Zeit auch für Reichsautobahnen − einen Namen gemacht hatte, bewarb sich mit einem Turmentwurf völlig neuartigen Stils. Er schlug eine 200 Meter lange Stahlbetonröhre vor, die eine antike Säule imitiert und sich zu ihrer Spitze hin verjüngt. Auf zwei Drittel der Höhe sollte der Turm eine vierstöckige Besucherkanzlei tragen. Das Konzept plädierte dafür, den Fernsehturm touristisch und gastronomisch zu nutzen. Technisch sei das alles „gar kein großes Problem“, versicherte Leonhardt skeptischen Statikern. Die Bauweise „in Kletterschalung“ − dabei wird ein Stahlgerippe peu à peu in die Höhe geflochten und anschließend mit Beton umgossen − sei von modernen Fabrikschornsteinen bestens bekannt, argumentierte er. Mit Erfolg. Leonhardt und sein Oberbauleiter Erwin Heinle konnten den Entwurf verwirklichen. Zwar wurde das ursprüngliche Budget um mehr als das Doppelte überzogen, doch die Baukosten in Höhe von damals 4,2 Millionen Mark hatten sich bereits nach fünf Jahren durch die Eintrittspreise amortisiert. Der Fernsehturm entwickelte sich zum Publikumsrenner und wurde schließlich auch in seiner Ästhetik von den Stuttgartern angenommen. Welche immense Bedeutung er im Laufe der Zeit gewonnen hat, zeigt sich etwa daran, dass der damalige Intendant des SWR Peter Voß, den Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat, der im März 2000 Deutschland bereiste, nirgendwo sonst als auf dem Turm empfangen hat.

Anna Lederer, die an der International School of Design 2008 über Fernsehtürme ihre Diplomarbeit schrieb, hatte das Stuttgarter Wahrzeichen auch auf dem Schirm: „Schaffe, schaffe, Türmle baue“ ist das Kapitel überschrieben, in dem sie die Geschichte des Turms und seiner Erbauer nachzeichnet.

Ihre Arbeit beendete sie mit dem Satz: „Mir stellt sich die Frage, aus welchem Grund die Deutsche Funkturm GmbH die Türme wirklich leer stehen lässt. Die Türme im Paket verkaufen zu wollen, erscheint mir ein sehr großes Vorhaben und meines Wissens hat sich bisher noch kein Käufer gefunden. Es entsteht der Eindruck, als ob es auch nicht gewünscht ist, die Turmkanzeln zu verpachten.“ Jetzt ist es passiert.

 

Mehr Literatur:

Anna-Lederer-Dplom-Pruefung-Nebenthemas-Fernsehtue.pdf (florianturm.de)

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Fernsehtürme_und_Sendeanlagen_der_Deutschen_Funkturm_GmbH

Wolfgang Dannowski: Technisches Bauwerk und Wahrzeichen; der Fernsehturm Alexanderplatz, in: Post- und Telekommunikationsgeschichte, Regionalbereich Ost, 1999

Günter Herrnleben: Der Fernmeldeturm Schäferberg, Errichtung, historische Bedeutung und aktuelle Funktion, in: DAS ARCHIV 4/2016

 

 

Ihre Botschaft weithin sichtbar verkünden, das tun Funk- und Fernsehtürme. Der Europaturm in Frankfurt, hier als Ginnheimer Spargel bekannt und nach dem Berliner Fernsehturm der zweithöchste in Deutschland, strahlte am 27. Januar 2022, zum Gedenken an die Opfer des Holocaust, gelb. Und nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine wurde er für einige Tage zum Zeichen der Solidarität mit dem attackierten Land.

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