Ergänzung des Beitrags in Heft 4/2022 DAS ARCHIV zur neuen Nutzung des früheren Postamts in Babelsberg von Isabell Koch

Tobias Kremkau hat als Head of Coworking bei St. Oberholz in Berlin Konzeption und Beginn des Umbaus des neuen Coworking Space in der alten Post in Babelsberg verantwortet. Seit 2021 ist er als Consultant für die CoworkLand eG tätig, eine Selbstorganisation von CoWorking-Space-Betreiber:innen im ländlichen Raum. Isabell Koch hat mit ihm über Coworking in alten Postgebäuden gesprochen.

Tobias, Du konntest Dir gleich gut vorstellen, dass Coworking zur Babelsberger Post passt. Wie kam das?

Ein Coworking Space bietet verschiedene Produkte an: Einzelmitgliedschaften, wo in großen Räumen, ähnlich dem Lesesaal einer Bibliothek, oder an langen Tischen gemeinsam gearbeitet wird. Dann braucht man noch Räume für Besprechungen und Meetings oder für Teams. Insgesamt eine sehr büroartige Infrastruktur.

Von Innen kannte ich die große Schalterhalle, von der ich dachte, genau hier kann der offene Bereich sein. Und dahinter steht der Funktionsbau mit zwei Stockwerken für Büros. In dieser schematischen Analyse konnte ich von außen sehen: Hier kriegt man Coworking hin.

Auch die Lage hielt ich für ideal. Verschiedene Straßenbahnen und Buslinien kommen an der Kreuzung an. Dann die S-Bahn nach Berlin. Babelsberg ist ein attraktives Viertel. Die Mieten sind enorm gestiegen. Die Bevölkerung, gerade die Neuzugezogenen sind wohlhabend. Wohlhabender sind Menschen, die eher im Dienstleistungsbereich arbeiten. Und die Zentralen sind nicht in Babelsberg. Die werden also eher für Berliner Unternehmen arbeiten und jeden Tag reinpendeln. Das war meine Überlegung.

 

Coworking – was kann ich mir darunter vorstellen? Es geht um mehr als um „gemeinsam arbeiten“?

Ja, allerdings ist das auch der Kern. Coworking ist eine Kultur des Miteinanders. Und sie ist daraus entstanden, dass Menschen, die ortsunabhängig arbeiten können, nicht alleine zuhause sitzen wollten. Sie haben sich isoliert gefühlt oder konnten sich nicht konzentrieren, weil sie noch die Hausarbeit gesehen haben. Da gibt es sehr viele Motivationen, um sich mit anderen zusammen zu schließen, die ähnlich arbeiten. So fing das 2005 in Berlin und San Francisco an: mit Selbständigen, Freelancern und Einzelarbeiterinnen.

Nie wieder Homeoffice?

Gerade seit der Erfahrung der Corona-Pandemie und dem Zwang, zuhause zu arbeiten, wollen Menschen professioneller mobil arbeiten. Und in dem Sinne sind Coworking Spaces auch eine Form, Arbeit zu organisieren: Dezentral, aber vernetzt.

Dann sind es heute nicht nur Freelancer, Selbständige und Kreative? Coworker sind insgesamt diverser geworden?

Komplett! Vor 10 Jahren waren es nur Selbständige und Freelancer. Erst später kamen die Angestellten dazu. Zuerst die Führungskräfte, weil sie entscheiden durften, von wo sie arbeiten. Inzwischen gestatten immer mehr Unternehmen über Betriebsvereinbarungen, dass Mitarbeiter mobil arbeiten. Das ist keine neue kulturelle Veränderung. Aber auch hier war Corona ein Beschleuniger.

Können wirklich so viele Menschen von überall arbeiten?

Über 50 Prozent der Menschen in Deutschland gehen einer Tätigkeit nach, die ortsunabhängig an einem Computer erledigt werden kann. Das ist das Potential und das ist enorm gewachsen. Coworking Spaces ermöglichen es, 2, 3 oder 4 Tage die Woche wohnortnah zu arbeiten. Das heißt, nach Feierabend wird nicht gependelt. Da ist Zeit für Familie, für Freizeit, für Zivilgesellschaft, fürs Vereinsleben. Das sind interessante weiche Faktoren. Gerade im Recruiting liegt für mich der größte Treiber der dezentralen Arbeitswelt.

Wie ist es mit Vereinbarkeit, Arbeitszeitreduzierung. Ist das ein Thema für Arbeitgeber bezüglich der Büroflächen?

Arbeit wird immer mehr projektbasiert und vernetzt organisiert. Wir haben keine klassischen Arbeitsprozesse mehr. Aufträge laufen temporär, dann kommt die nächste Projektstufe mit neuen Mitarbeitern. Manche sind nicht mal beim Arbeitgeber angestellt. Es gibt Phasen, wo weniger Leute gebraucht werden, dann wieder mehr. Brauchen Unternehmen noch große Flächen, die oft leer stehen? Wenn ein Projekt intensiver wird, dann bläht sich ein Unternehmen auf, vergrößert seine Oberfläche. Ein Coworking Space kann hier helfen. Das ist der organisatorische Teil, warum Coworking relevanter wird.

Aber was ist mit den Mietverträgen der Unternehmen?

Erst wenn die auslaufen, können sie sich fragen: Verlängern wir? Brauchen wir weniger Fläche? Das ist eine stufenweise Entwicklung über die nächsten Jahre. Corona hat zwar zu „Und jetzt ist alles anders“ geführt, aber vielen Unternehmen war es nicht möglich, alles komplett umzuwerfen.

Und zur Teilzeit: Gerade da lohnt sich pendeln noch weniger. Besonders im ländlichen Raum. Dort werden übrigens Coworking Spaces von teilzeitarbeitenden Frauen angenommen. Ganz einfach aufgrund der Arbeitssituation. Die ersten Coworking Spaces mit Kinderbetreuung in Berlin waren am Prenzlauer Berg, was jeder ohne soziologische Untersuchung versteht. Bevor ein Coworking Space an einem Standort eröffnet wird, ist es wichtig zu verstehen, was hier die Bedürfnisse sind.

 

Dann geht es bei Coworking auch um zwischenmenschliche, soziale Räume?

Die sind das Entscheidende. Bürogemeinschaften zum Beispiel gibt es schon seit über 100 Jahren. Sie sind ähnlich zu Coworking Spaces. Bei beiden gibt es Räume für Einzelne und kleine Teambüros. Aber Bürogemeinschaften wollen sich nicht verbrüdern. Coworking Spaces dagegen zielen im Kern auf das Miteinander.

Klar, am Anfang ist wichtig, was bekomm ich für mein Geld: der Tisch, der Stuhl, die Dienstleistung. Aber am Ende ist es immer die soziale Interaktion, warum Menschen in einen gemeinsamen Raum kommen oder dort auch bleiben.

 

Jetzt könnten Unternehmen auch sagen: Dann mache ich überall kleine Standorte auf, wo nur meine Angestellten arbeiten.

Aber das limitiert die soziale Erfahrung auf die eigenen Kollegen und Kolleginnen, die oft das gleiche gelernt, studiert haben, die von derselben Unternehmenskultur geprägt sind. Die Einflüsse von außen, offen sein für anderes – konservative Menschen bezeichnen das häufig als wild – aber eben dieses Wilde geht verloren, wenn Unternehmen sich selber Satelliten-Standorte schaffen. Die Vielfalt, das macht einen Coworking Space aus.

Dann könnte Coworking in ehemaligen Postgebäuden ein Nutzungskonzept für die Zukunft sein?

Coworking ist immer eine Fremdnutzung. Ich kenne niemand, der ein Coworking Space gebaut hat. Am Anfang waren es Fabrikgebäude, alles, was leer stand und billig war. Und heute hat das natürlich auch Charme, mit alten Industriebauten. Ich finde das faszinierend, dass Coworking im Kaufhaus wie im Postgebäude funktioniert. Und wenn man sich alte Postfilialen anschaut, scheinen sie eine grundlegende Eignung für Coworking zu haben.

Sie haben oft eine zentrale Lage…

… am Marktplatz oder zumindest an Verkehrsknotenpunkten. Diese beiden Eigenschaften sind sehr interessant für moderne Nutzungskonzepte, wie es Coworking Spaces sind. Die Lage ist entscheidend für den Erfolg eines Coworking Space. Wie steht es um den öffentlichen Nahverkehr, kleine Geschäfte? In Babelsberg ist jetzt Gastronomie bereits integriert. Aber wenn das nicht so ist, wo bekomme ich meinen Kaffee, mein Stück Kuchen?

Vieles hat sich verändert: Kommunikation und Arbeit. Aber was das Gebäude in seiner Lage und Gestaltung ausmacht, wirkt immer noch. Was damals entscheidend war, und scheinbar ändert sich manches dann doch nicht, ist die Post als Ort, wo Menschen zusammenkommen, ein öffentlich gedachter Raum. Das funktioniert und ist immer noch relevant. Deswegen sollte man nach Konzepten suchen, die diese soziale Erfahrung mit sich bringen. Coworking ist nicht das einzige Konzept dieser Art. Aber es scheint zu funktionieren, wenn der Ort dafür geeignet ist.

 

Vielen Dank, Tobias, für das Gespräch.

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