Ein Lebenswerk auf einem Quadratmeter

 

Wir wollen zum Tag der Deutschen Einheit an die Arbeit des Grafikers Manfred Gottschall erinnern (1937−2015), der viele Marken der DDR entworfen, aber auch den Übergang zum geeinten Deutschland mitgestaltet hat. Michael Burzan hat ihn im Jahr 2012 für DAS ARCHIV porträtiert und sein Werk vorgestellt im Beitrag „Mein Lebenswerk passt auf einen Quadratmeter“.

 

Geboren wurde der Grafik-Designer im Thüringer Wald, in Manebach, einem Ortsteil von Ilmenau. Dort, in der „Goethe- und Universitätsstadt, absolvierte er nach der Schulzeit seine erste Ausbildung zum Porzellanmaler. Das Können, das er sich dabei aneignete, ist vielen seiner Briefmarken anzusehen: Sie haben einen besonders edlen, festlich inszenierten Charakter, sind oft zart im Detail. Halbtöne und Tiefenwirkung sind seine Stärken, aber auch klare grafische Skizzen auf repräsentativen Tableaus, in Verbindung mit einer optimal abgestimmten Typografie.

Nach dem Studium zum Grafik-Designer an den Fachschulen für Angewandte Kunst in Erfurt und Magdeburg arbeitet Gottschall für eine staatliche Agentur und lernt dort seinen Berufskollegen Hans Detlefsen kennen. Gemeinsam wagen sie Anfang der 1960er-Jahre den Schritt in die Selbständigkeit – damals ein durchaus riskantes Projekt. Man musste, um als freier Grafiker arbeiten zu dürfen, auf jeden Fall im Verband bildender Künstler sein.

Nachdem die Gründung einer unabhängigen Agentur nicht genehmigt worden war, bezogen sie 1962 Einzelateliers in Karl-Marx-Stadt, heute wieder Chemnitz, die 1965 ein weiterer Mitstreiter ergänzte zur Ateliergemeinschaft Gottschall – Detlefsen – Rieß. Dass man in den gemeinsamen Initialen GDR die internationale englischsprachige Bezeichnung der DDR (German Democratic Republic) repräsentiert, sei als reiner Zufall zu betrachten, erläutert Gottschall schmunzelnd.

In den ersten Jahren war Material, selbst Farben und Pinsel, zum Teil nicht leicht zu beschaffen. Es musste von „der Tante aus dem Westen“ oder gelegentlich in Leipzig in einem Künstlerbedarfsgeschäft organisiert werden. Mit Aufträgen aus Wirtschaft und Politik, von öffentlichen Institutionen und regionalen Unternehmen gelang es aber, eine Existenz aufzubauen und sie im Lauf der Jahre zu sichern. Wer aus dem Dreier-Kollektiv einen Auftrag erhielt, war zweitrangig – Hauptsache, einer war erfolgreich, das Honorar wurde geteilt. Gottschall entwarf Plakate und Signets, entwickelte Motive für Kampagnen zur Leipziger Messe und Gartenbauausstellung Erfurt, für die Automobil- und Textilindustrie. Er konnte sich daneben mit wissenschaftlichen Zeichnungen profilieren, die er zum Beispiel für den Botanischen Garten in Halle anfertigte; aber auch ganze Ausstellungen entstanden nach seinen Konzeptionen.

Dass sie bis 1992, also dreißig Jahre lang, als Gemeinschaft erfolgreich arbeiteten, ist für Gottschall keineswegs selbstverständlich. Eine harmonische Zusammenarbeit, so aus „einem Guss“ und über Jahrzehnte hinweg – er sieht das durchaus als eine Ausnahmeerscheinung, mehrfach kopiert doch kaum erreicht. 

 

Es begann in und mit Karl-Marx-Stadt

 

Bald nach Gründung der Ateliergemeinschaft, im Dezember 1964, erhielt Manfred Gottschall zum ersten Mal den Auftrag, eine Briefmarke zu entwerfen. Da konnte er nicht ahnen, dass ihn dieses Arbeitsfeld über viele Jahre begleiten würde und eines Tages seinen Ruhm begründen sollte.

Am 16. Juni 1965 erschien seine Marke zur 800-Jahr-Feier von Karl-Marx-Stadt, heute wieder Chemnitz. Im Gespräch verrät der Grafiker, dass es ursprünglich seine Anstecknadeln zum Stadtjubiläum waren, die als Vorlage dienten. Man kann es noch nachvollziehen, wenn man die klaren Formen mit goldenen Lettern und Konturen auf farbiger Unterlegung betrachtet. Eine grüne, golden umrandete Werkzeugmaschine zu 10 Pfennig mit Tanks einer Chemieanlage kontrastiert die historischen Bauten „Roter Turm“ zu 20 und das Rathaus auf blauem Grund zu 25 Pfennig. Bei der Beratung über die Entwürfe von Gottschall im Januar 1965 habe die „Kommission zur Beurteilung von Postwertzeichen“ die gute Ausführung gelobt. Es kamen aber auch Vorschläge, an Stelle der Darstellung des Rathauses doch ein modernes Gebäude abzubilden; überhaupt müsse zumindest ein Wert Karl Marx als jüngeren Namensgeber der Stadt zeigen. Im Depot des Berliner Museums für Kommunikation liegt ein alternativer Entwurf Gottschalls der Wertstufe 25 Pfennig vor, der das neue Postamt der Stadt in goldener Zeichnung auf dunkelblauem Grund zeigt, aber nicht zur Ausführung kam. Das Porträt von Karl Marx wurde in blauer Farbe auf den amtlichen Ersttags-Briefumschlägen aufgedruckt, die von der Post der DDR ausgegeben wurden. Ein ursprünglich geplanter Karl-Marx-Sonderstempel blieb zugunsten einer Schriftlösung auf der Strecke.

 

Einzeln und im Kollektiv

 

Auch Gottschalls Atelier-Kollege Joachim Rieß konnte bald einen ersten großen Erfolg als Marken-Designer verbuchen. Er gestaltete − ebenfalls 1965 − ein Tryptichon zum Besuch sowjetischer Kosmonauten in Berlin, das mit Silberdruck gerastert erschien. Drei Großformate von Rieß würdigten die 900-Jahr-Feiern der Wartburg bei Eisenach ab November 1966; auch drei ungewöhnlich flache Querformate zu den Biathlon-Weltmeisterschaften in Altenberg vom Februar 1967 stammen von ihm. Als Gemeinschaftsprojekt von Gottschall und Detlefsen mahnte ab März 1966 ein Marken-Quartett nachhaltig zur Sicherheit im Straßenverkehr; eine Thema, das in der Bundesrepublik erst Jahre später aufgegriffen wurde. Detlefsens grafisch geschnittene Personendarstellungen kamen erstmals am 7. März 1967 auf zwei Hochformaten zum 20. Jubiläum des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands DFD zur Geltung, im April 1967 gefolgt von einem Quartett zum Parteitag der SED. Seine klar strukturierten, optimistisch blickenden Frauen und Männer wurden gern genommen, wenn die damals aktuelle Lebenswelt der DDR mit politischem Hintergrund versehen werden sollte. Jeder Auftrag für eine Briefmarkenserie war für die jungen Designer auch ein finanzielles Highlight, denn für den Entwurf von einzelnen Marken mit zwei oder drei Motiv-Alternativen gab es damals weniger als dreihundert (257) Ostmark.

Nach den ersten Gelegenheitsaufträgen wurde die Agentur regelmäßig bei den Ausschreibungen des Ministeriums berücksichtigt, die im Wettbewerbs-Verfahren unter mehreren Grafikern erfolgten. Dabei wurde die Ateliergemeinschaft nicht als Kollektiv behandelt. Jeder bekam vielmehr individuell die Chance, ein Thema mit seinen eigenen Mitteln und Medien zu gestalten. Und, auch das war Teil des Wettbewerbs, man konnte die Entwürfe bei den Sitzungen der entscheidungsberechtigten Kommission auch selbst vorstellen und erläutern. Aber natürlich war es vorteilhaft, dass man sich im Vorfeld an Überlegungen der Kollegen orientieren und sich mit ihnen abstimmen konnte, und es gibt durchaus Marken-Ausgaben, für die zwei Grafiker des GDR-Teams verantwortlich zeichnen. Alle zusammen entwickelten sie die fünf Marken vom 6. Oktober 1967, die in Kombination mit einer Blockausgabe an den 50. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland erinnern. Gottschall allein lieferte die drei Vorlagen zum 50. Jahrestag der Novemberrevolution in Deutschland Ende Oktober 1968.

Dass es beim Entwurf von Postwertzeichen um rasche Arbeit über Nacht gehen kann, lernte  Gottschall in DDR-Zeiten: Als die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in die Vereinten Nationen nach jahrelangen Verhandlungen endlich Wirklichkeit wurde, setzte er das Thema schnell um, damit der Außenminister des Landes den politischen Repräsentanten in New York die edle quadratische Sondermarke vom 19. September 1973 vorstellen konnte. Zuvor hatte er internationale Organisationen mit kleinen Quadraten zu „25 Jahre UNO“, „25 Jahre Kinderhilfswerk UNICEF“ oder „Welt-Gesundheitstag der WHO“ ins Bild gesetzt.

 

Orchideen, Rosen und blühende Kakteen

 

Was Manfred Gottschall vor allem anderen auszeichnet, sind seine herausragenden Serien mit Pflanzen-Darstellungen. Diese gehören sicher zum Besten, was weltweit in diesem Motivbereich zu finden ist. Für seine erste erfolgreiche DDR-Markenserie mit Orchideen von 1968 hat er die sechs Quadrate auf die Spitze gestellt − eine Gestaltung, die bis heute aus dem Rahmen fällt. Die farbenprächtigen Blüten setzte er auf einen schlichten weißen Grund, während die Konkurrenten eine farbige Umgebung wählten. Noch heute klingen ihm bei der Erinnerung an diese Serie die Worte seines strengen Meisters aus der Porzellanmalerei im Ohr: „Merk dir, Blumen sind eine ganz zarte Sache, die dürfen nicht aussehen wie aus Blech geschnitten!“ Spezialisten unter den Philatelisten haben ein scharfes Auge auf einige wertvolle Orchideen-Raritäten aus dieser Briefmarkenserie der DDR, bei denen einzelne Farben fehlen und die mit Preisen bis über 2000 Euro bewertet sind. Während Gottschall bei den stärker gefärbten Orchideen die Blüten in den Vordergrund stellte, erscheinen die sechs Werte „Geschützte heimische Pflanzen“ vom April 1970 vor einem kontrastreichen Hintergrund, der ein natürliches Ambiente simuliert. Die leuchtstarken, abstrakt wirkenden Schattierungen entstanden – so verrät der Grafiker − durch Experimente mit Anilinfarben auf Fotopapier, um die zarten Pflanzenzeichnungen hervorzuheben.

Noch im selben Jahr erschien im Dezember 1970 Gottschalls erstes Sextett mit blühenden Kakteen, das mit seiner plastischen Wirkung überzeugen konnte. Im Februar 1974 und im Juni 1983 kamen zwei weitere Sechser-Reihen dieser Gattungen zu Geltung und Gültigkeit. Seine erste Serie zur Internationalen Rosenausstellung in Erfurt vom Juni 1972 wurde mit einem Sonder-Markenheftchen vom August begleitet, das drei der Motive in kleineren Formaten zeigte.

 

Olympische, aufbauende und postalische Wertzeichen

 

Marken Gottschalls mit stilisierten sportlichen Motiven auf jeweils sechs Querformaten begleiteten 1972 die Olympischen Winterspiele in Sapporo und die Sommerspiele der XX. Olympiade in München. Und das Bild der „modernen DDR“ gestaltete der vielseitige Grafiker durch elegante Motive städtischer Assemblagen und Wahrzeichen bis hin zum Großen Staatswappen der DDR, die ab Januar 1973 millionenfach durch eine neue Freimarkenreihe verbreitet wurden. Diese Dauerserie unter der Bezeichnung „Aufbau in der DDR“ umfasste vierzehn Motive von fünf Pfennig bis drei Mark, aufgelegt in zwei Formaten in unterschiedlichen Druckverfahren und Konfektionierungsformen wie Schalterbogen und Markenrollen, Heftchen und Ganzsachen; sie blieb bis zum 2. Oktober 1990 gültig und in Gebrauch und verbreitete seine Zeichnungen milliardenfach um die Welt.

Auch postalische Themen hat Gottschalk gleichfalls über Jahrzehnte auf Postwertzeichen in Szene gesetzt. Das Spektrum reicht vom Vierersatz aus dem Jahr 1974 zum 100. Gründungsjahr des Weltpostvereins über die Postmeilensäulen aus dem 18. Jahrhundert bis zum zeitlos wirkenden Quartett mit Postillion, Briefträger und Postbeamten in historischen Postuniformen vom Februar 1986. Sein Trio vom Mai 1990 verewigt zum Jubiläum „150 Jahre Briefmarken“ drei philatelistische Markenzeichen, die britische „Penny Black“ als Erste der Welt sowie als weitere Premierenstücke den „Sachsen-Dreier“ und die 50 Pfennig zum 75. Jubiläum des Weltpostvereins, die am 9. Oktober 1949 als erste Sondermarke des neuen Staates das Sammelgebiet DDR eröffnete.

Eine mittlerweile fast vergessene Episode stellt seine unscheinbare 10-Pfennig-Marke vom 13. Mai 1970 zu „25 Jahre Deutscher Demokratischer Rundfunk“ dar, die mit dem peinlichen Setzfehler „RADIO INTERNATIAONAL“ in die Markengeschichte der DDR einging. Der Irrtum des Entwerfers blieb durch alle Instanzen unbemerkt, bis ihn ein Sammler am Postschalter bemerkte. Es gab einen Rüffel von oben, aber keine Konsequenzen wie bei Fehlern politischer Natur auf Postwertzeichen, die bei anderen vorkamen.

 

Weltweite geschätzte Musik-Motive

 

Seine Leidenschaft zur Musik gab bedeutenden Musikern ein würdiges Gedenken. Das Mozart-Jahr 1981 eröffnete am 13. Januar seine DDR-Blockausgabe zum 225. Geburtstag des Komponisten. Ein Klassiker ist die Blockausgabe vom 19. März 1985 zum „Bach-Händel-Schütz-Jahr“, zusammen mit Rieß als Tryptichon der Porträts mit Notenzeilen auf Zierfeldern gestaltet und 1986 als beste europäische Marke gekürt. Sogar der Robert-Stolz-Preis für die weltbeste Briefmarke der Musik-Philatelie ging 1985 an seine Block-Interpretation zum 175. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy, die eine Kombination von klassischem Porträt, Notenschrift und Namenszug mit der Leichtigkeit eines Wolkenhimmels verbindet. Den Preis in London abholen durfte er nicht, ja, erfuhr sogar eher zufällig, dass er den Preis überhaupt erhalten hatte. Anders als die Sportler, beklagt Gottschall in einem Film von 1990, habe die DDR ihre Künstler nicht gerade bevorzugt behandelt. 

 

Ende und Anfang, Ost und West 

 

Noch im letzten Jahr des Bestehens der DDR war der Grafiker mit dem Erscheinungsbild auf Postwertzeichen befasst − vom bunten Flaggen-Quadrat zum 40. Jahrestag des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe über eine neue Porträtserie mit bedeutenden Persönlichkeiten, drei weiteren Züchtungen von Blattkakteen, der Blockausgabe für Philipp Reis − bis hin zur letzten Sondermarke der DDR, die unter der auslaufenden Staatsbezeichnung am 24. Juli 1990 verspätet erschien. Das Hochformat zum Internationalen Jahr der Alphabetisierung war bereits in vollem Umfang von drei Millionen Stück mit der Wertangabe von 10 Pfennig plus 5 Pfennig Zuschlagsbetrag gedruckt. Als schon zum 1. Juli 1990 die Währungsumstellung von der Ostmark zur D-Mark West erfolgte, erhielten die Bogen einen roten Überdruck mit Balken und neuen Beträgen von 30 + 5 Pfennig.

Insgesamt hatte das Postministerium der DDR von 1965 bis 1990 274 Entwürfe von Manfred Gottschall als Briefmarken veröffentlicht. Gemeinsam mit den ebenfalls zahlreichen Erfolgen seiner Atelier-Kollegen Detlefsen und Rieß, dürfte das Trio „GDR“ gut zwanzig Prozent aller Briefmarkenmotive der DDR-Geschichte gestaltet haben. Und wenn man nach den Auflagezahlen geht, sind das insgesamt wohl mehrere Milliarden Markenzeichen.

Doch die Erfolgsgeschichte der drei Grafiker aus dem Osten war mit der postalischen Integration und Vereinigung der Länder keineswegs abgeschlossen. Schon am 6. November 1990 kamen − nun bereits in der gesamten vereinten Bundesrepublik Deutschland − Gottschalls nächste Kreationen in Umlauf. Es war die symbolhafte Emission unter dem Thema „Friedlicher Aufbruch zur Deutschen Einheit“, die zum ersten Jahrestag an die Öffnung der innerdeutschen Grenzen und der Berliner Mauer erinnern sollte.

Gottschall ist noch heute stolz darauf, dass gerade sein Vorschlag umgesetzt wurde, den er zunächst noch für drei getrennte Postverwaltungen in der Bundesrepublik, in Berlin und der DDR auszeichnen sollte − die rasche Einigung war noch nicht absehbar. Der Regenbogen in schwarz-rot-gold kam nach einem Änderungswunsch ins Bild; in der ersten Fassung war er wirklich in Regenbogenfarben gehalten. Als beste europäische Marke wurde der Block ausgezeichnet, der das Markenpaar mit Dreifarbenstrahl und Silhouetten von Brückenbildern vereint.

Manfred Gottschall wie auch seine Atelier-Kollegen Hans Delefsen und Joachim Rieß wurden auch nach 1990 zu den Wettbewerben der Deutschen Bundespost und des Bundesministeriums der Finanzen eingeladen, um Briefmarken zu gestalten. Joachim Rieß gab seinen Einstand im Juni 1991 mit vier liebevoll gezeichneten bedrohten Arten von Seevögeln, denen zahlreiche Tiermotive folgten, darunter der Block zum 150. Doppel-Jubiläum von Carl Hagenbeck und dem Berliner Zoo im Mai 1994, die Jugendmarken mit Hunden oder Pferderassen aus den 1990ern.

Detlefsen überzeugte weiterhin mit markanten grafischen Konzeptionen, so im Juli 1991 mit der Blockausgabe zur Europäischen Luftpostausstellung in Dresden und dem 100. Jahrestag des Flugversuchs von Otto Lilienthal. Zuvor hatte seine „letzte Dauerserie der DDR“ mit Bauwerken und Denkmälern die kurze Endphase des Sammelgebiets mit Marken in DM-Währung und Inschrift „Deutsche Post“ gekennzeichnet, die zwischen dem 2. Juli 1990 und dem 31. Dezember 1991 auch in der Bundesrepublik und in Westberlin Gültigkeit besaßen.

Manfred Gottschall zeichnete im Weiteren für Ausgaben wie die Europamarken 1996 verantwortlich, die Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz als bedeutende Künstlerinnen nach Selbstporträts zeigen. Zu seinen persönlichen Lieblings-Motiven aus dem bundesdeutschen Werkkomplex zählen zwei Werte aus dem Jahr 1998: das Großformat mit historischen Porträts zu „350 Jahre Westfälischer Friede“ vom 12. März und das edel reduzierte blaue Dreimarkstück mit den Händen eines Dirigenten, das zum 450. Jubiläumsjahr ab 12. November die Sächsische Staatskapelle Dresden ehrte.

 

Hilfsaktionen per Pinselstrich

 

Seine freieste künstlerische Handschrift half gleich zweifach, wohltätige Aktionen durch Zuschlagsbeträge auf Briefmarken zu unterstützen. Am 7. Mai 1998 erschien ein Querformat für eine Mark plus 50 Pfennig zugunsten des Umweltschutzes, das dazu aufrief, Küsten und Meere zu schützen. Zur Ausführung kamen Gottschalls meisterhafte Pinselstriche in Blau und Grün, die Landschaften am schäumenden Wasser ahnen lassen. Es erforderte mehr als hundert Versuche, bis der flotte Farbverlauf den Künstler zufrieden stellte. Wurde damit bereits ein Hilfsbetrag von weit mehr als einer Million Mark erlöst, so brachte die Wiederholung des Motivs zur Hochwasserhilfe mit geändertem Nennwert von 56 + 44 Euro-Cent über zweieinhalb Millionen Euro für die Hochwassergeschädigten ein. Am 13. und 14. August war eine Flut über Ostdeutschland hereingebrochen, die riesige Landstriche unter Wasser setzte. Brücken und Häuser stürzten ein, Straßen und Eisenbahnen waren zerstört, viele Menschen standen vor dem Ruin. Das Finanzministerium meldete sich schon kurz nach der Flutkatastrophe bei Manfred Gottschall und bat um eine kurzfristige Neufassung der grün-blauen Marke. Die wurde gleich am nächsten Tag nach Mönchengladbach zur Druckerei geschickt und war acht Tage darauf an den Postschaltern zu haben − so schnell wie kaum eine andere Briefmarke jener Zeit.

Auf die Frage, bei welchen Entwürfen er im Rückblick bedauere, dass sie nicht realisiert wurden, reagiert der Grafiker verhalten. Er schätzt auch die Arbeit von Kollegen, aber etwas fällt ihm doch ein – seine Vorlage für Weihnachtsmarken aus dem Jahr 1997. Statt dem gern gezeigten Bayerischen Barock hatte er Motive nach dem wenig bekannten mittelalterlichen Fastentuch aus Zittau mit der Geburt Jesu, der Anbetung der Könige und der Vorstellung des Knaben im Tempel entwickelt.

 

Freie Arbeiten

 

Eine neue Form von Freiheit in der Markengestaltung hat Gottschall in den letzten Jahren bei der Privatpost gefunden. Seit seine Kritik, sie machten „schaurige Motive“, bei einem Entscheidungsbefugten auf offene Ohren stieß, haben ihn verschiedene regionale Unternehmen in Deutschland mit der Gestaltung ihrer Wertzeichen beauftragt und ihm dabei weitestgehend freie Hand überlassen. So konnte er seit 2004 einige seiner Ideen zu Themen realisieren, die bei der Auswahl der staatlichen Stellen im Berliner Finanzministerium nicht auf dem Programm standen. Dafür greift er gern auf Vorlagen aus der näheren Umgebung zurück, vom Jenaer Glas über Thüringer Porzellan bis zu 90 Jahre Bauhaus; seine „Berühmten Sachsen“, die zuvor noch keine Markenehren erhielten, wurden sogar preisgekrönt.

An Auszeichnungen für seine Schöpfungen hat es ihm im Rückblick über Jahrzehnte ohnehin nicht gemangelt. Zehn Mal hat er zwischen 1967 und 1989 hatte er allein die „Goldene Briefmarke der DDR“ erhalten, die in verschiedenen Zeitschriften um das schönste und gesellschaftlich wertvollste Postwertzeichen eines Jahrgangs der Demokratischen Republik ausgeschrieben wurde. Ausstellungen mit seinen Werken und nach seinen Konzeptionen fanden vielfach die Gunst des Publikums, bei Vorträgen hat er viele Details thematisiert.

Dennoch sagt Manfred Gottschall bescheiden: „Mein Lebenswerk passt auf einen Quadratmeter“. Wenn man die realisierten Kleinformate eng zusammenlegt, mag das so sein. Wenn dagegen die Originalentwürfe in Galerien oder Museen erscheinen, können sich die Exponate über mehrere Räume erstrecken. Nicht zu sprechen von seinem freien künstlerischen Arbeiten in Acrylfarben und Aquarell, bevorzugt mit Pastellkreiden, die bei und nach Reisen entstanden.

Dass er auch seit der Wende ausreichend Arbeit hat, ist für Gottschall nicht selbstverständlich.  „Es war für uns drei Grafik-Designer ein Glücksfall, dass wir ‚übernommen‘ wurden, ich kann dafür nur dankbar sein.“

Und wie sieht er das im Rückblick mit der politischen Wende, nachdem er doch durch drei Jahrzehnte mit dafür gesorgt hat, wie sich die DDR nach innen und außen präsentierte? „Jetzt haben wir andere Zeiten und andere Ideologien; die Gewichtungen und Wertungen haben sich auch in den Themen der Postwertzeichen verschoben.“ Seiner Karl-Marx-Stadt Chemnitz ist Gottschall treu geblieben, und auch dem Anliegen, wenn immer möglich die Regionen Sachsen und Thüringen ins Gespräch zu bringen und ihre Schätze zu zeigen.

Und Briefmarken entwerfen, macht man das nach so vielen Jahren nicht mit Links?

„Nein, denn je älter ich werde, desto überlegter gehe ich an eine Sache heran“, beantwortet der Gestalter die Frage. „Die Berufsehre als Verantwortung für das eigene Werk bleibt.“

Doch nun hat es Gottschall eilig – er hat beim Joggen im Stadtpark gesehen, wie die späte Sonne das bunte Herbstlaub zum Leuchten gebracht hat, das will er noch im Bild festhalten.

 

Quellen:

Kleine Meisterwerke, Filmreihe im Bayerischen Rundfunk: Der Fall der Mauer, 1990

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