Von Heinrike Paulus

 

Puppen, Kuscheltiere, Eisenbahnen, Blechspielzeug und sehr viel mehr. Spannende Spielzeugwelten und deren Geschichte(n) lassen sich auf vielfältige Weise entdecken. Eine rund 300 Kilometer lange Reiseroute durch Franken und Thüringen lädt dazu ein, sich auf der deutschen Spielzeugstraße auf die Spuren der jahrhundertealten Spielwarenherstellung zu begeben.

Foto: Marie Theres Graf / Spielzeugmuseum Nürnberg

Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Regionen rund um Nürnberg und Sonneberg Zentren der Spielwarenherstellung. Die „Deutsche Spielzeugsstraße“ führt sozusagen durch das Silicon Valley der Spielzeugherstellung – von Waltershausen über Erfurt und die Spielzeugmetropolen: Sonneberg, Neustadt bei Coburg, Nürnberg und weiter bis Zirndorf im mittelfränkischen Landkreis Fürth und schließlich in die Goldschlägerstadt Schwabach. Ins Leben gerufen wurde diese Route 1996 durch einen gleichnamigen Verein. Neben zahlreichen Museen, Spiele-Erlebniswelten und einzigartigen Spielplätzen sind hier bis heute bekannte Unternehmen und Manufakturen angesiedelt. Auch diese Betriebe geben Einblicke in Bandbreite und Kreativität der Branche. 

Vor allem der Thüringer Wald rund um Sonneberg und die Puppenstadt Coburg gehörten zu den weltgrößten Produktionsstätten für Spielzeug. Ein Fünftel aller gehandelten Spielwaren wurde einst in Sonneberg produziert, der Ort avancierte zur „Weltspielwarenstadt“, später war er Zentrum der Spielwarenindustrie der DDR, wo in volkseigenen Betrieben produziert wurde.

Die von der Tourismusregion Coburg.Rennsteig herausgegebene Broschüre „Spielzeug. Tradition & Erlebnis in Coburg.Rennsteig“ erzählt diese Spielzeuggeschichte: „Die Entwicklung des Spielzeugs reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück und hat die Region maßgeblich geprägt“, heißt es da.“ Drechsler und Schnitzer fertigten Spielzeug aus dem Holz des Thüringer Waldes, Sammlungen zeugen noch davon. Neben dem „Deutschen Spielzeugmuseum“ in Sonneberg mit rund 5.000 Exponaten wartet das „Deutsche Teddybärenmuseum“ unter anderem mit dem Raum der „1000 Bären“ auf. Dort lässt sich auch der weltgrößte Teddybär bestaunen, der es sogar ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat – mit 5,60 Metern Höhe.

 

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Sonneberg liegt das bayerische Neustadt bei Coburg. Auch dort diente das Spielzeug für leuchtende Augen bei Kindern und zum Broterwerb für die Erwachsenen. Ihnen und ihrem Leben und ihrer Arbeit in der Fabrik oder daheim widmet sich das Museum der deutschen Spielzeugindustrie“ in Neustadt bei Coburg. Von hier aus sind es noch anderthalb Stunden mit dem Auto nach Nürnberg, der Spielzeugstadt schlechthin. Dort hat unter anderem die Internationale Spielwarenmesse ihren Sitz, zu der sich seit dem Jahr 1950 Händler aus aller Welt einfinden.

Hunderte Spielzeugfirmen gab es hier einst. Produziert wurden Holzspielsachen, Puppenküchen, Kaufläden oder Blechspielwaren. Als ältester Beleg für die Nürnberger Spielzeugproduktion gilt eine bei Grabungen entdeckte Ton-Puppe (auch Docke genannt) aus dem 14. Jahrhundert. Hergestellt wurde sie von „Dockenmachern“, die als die ältesten Spielzeugproduzenten Europas gelten. Wie diese „Docken“ aussehen, lässt sich im weltbekannten Spielzeugmuseum in der Nürnberger Altstadt entdecken. Mehr als 85.000 Objekte finden sich auf der Ausstellungsfläche: Bären und Barbies, Puppen und Playmobil. Im Sommer lockt im Außenbereich des Museumsgeländes ein abwechslungsreicher Spielplatz.

Das Museum basiert auf der Sammelleidenschaft von Lydia Bayer (1897−1961). Mit ihrem Mann trug sie die Kollektion zusammen. Und unter ihrem Namen wurde sie zunächst in der Würzburger Innenstadt gezeigt. Schließlich erwarb die Stadt Nürnberg die Sammlung als Grundstock für das heutige Museum.

Es ist das erste Haus mit einer Nachhaltigkeitsstrategie. Unter dem Motto „Spielen ist Dialog mit der Welt“ ist das Foyer gestaltet. Kinder und auch Erwachsene können in heutige und einstige Spielewelten eintauchen. „Das Spielzeugmuseum stellt die große Welt im Kleinen dar, also alles, was wir in dieser gesamten Welt haben, in Miniatur, wie in einem Brennglas konzentriert. Noch sind wir ein Sammlungsmuseum, doch durch rein bürgerschaftliches Engagement entwickeln wir uns zu einem emotionalen Weltmuseum weiter“, erklärte die Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums, Karin Falkenberg in einem Interview 2022 im ARCHIV (2/2022).

 

Foto: 4028mdk09/Wikipedia

Wenige Kilometer von Nürnberg entfernt hat das rote Bobby Car seine „Wiege“, der allererste Kleinwagen, lange vor dem Führerschein. 1972 trat das Rutschauto der BIG-Spielwarenfabrik, die heute zur „Simba-Dickie-Group“ gehört, seinen Siegeszug von Fürth in die Welt an. Schon damals war es 60 Zentimeter lang und 40 Zentimeter hoch. Und so ist es bis heute. Kulleraugen als Scheinwerfer oder ein Lenkrad mit Hupe gehören nach wie vor zur Serienausstattung des Kultflitzers. Beim Basismodell sind Design und Bauart nahezu gleichgeblieben. Hinzugekommen sind Spezialeditionen sowie verschiedene Formen und Farben. Damit sich die Nachbarschaft in Stadtwohnungen durch das Rollen auf dem Paket oder in asphaltdominierten Reihenhaussiedlungen nicht von dem Fahrgeräusch gestört fühlt, gibt es auch sogenannte „Flüsterreifen“, die etwas weniger Krach machen. Doch egal, welcher Reifen aufgezogen ist: Ob die Geschwindigkeit mehr Schnecken-Tempo oder Formel 1-Rennwagen entspricht, hängt davon ab, was die Beine hergeben.  Theoretisch lassen sich damit bis zu 100 Kilometer pro Stunde auf den Asphalt bringen – und mehr. Mit technischer Unterstützung können es sogar 148,45 Kilometer pro Stunde sein – das ist Weltrekord.

Rekordverdächtig ist auch der Erfolg der kleinen 7,5 Zentimeter großen Playmobil-Figur: Bisher 1,2 Millionen Mal verkaufte sich Martin Luther im Kleinformat. Der Reformator ist damit die erfolgreichste Einzelfigur des Systemspielzeugs „Playmobil“ der Firma Gebora Brandstätter aus Zirndorf. Selbst in der kleinen Stadt plätschert ein Brunnen mit Playmobil-Figuren aus Metall. 

Playmobil-Landschaften sind ein Klassiker im Kinderzimmer. Ein halbes Jahrhundert gibt es Playmobil inzwischen – das Weltspielzeug aus Franken. 1974 kam es auf den Markt, erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde es einige Monate davor auf der Nürnberger Spielwarenmesse.

Entstanden sind die Figuren eigentlich aus der Not heraus, als der Kunststoff in der Ölkrise immer teurer wurde und das Unternehmen rote Zahlen schrieb. Dank einer materialsparenden, innovativen Idee wurden die „Klickys“, wie ihr Erfinder Hans Beck sie zunächst nannte, geboren. Was mit Rittern, Indianern und Bauarbeitern begann, wurde über die Jahrzehnte ausgeweitet mit Almhütten, Zoos, Operationssälen, Feuerwehrstationen oder Wohnmobilen. 1976 erschien die erste weibliche Figur, inzwischen gibt es Pilotinnen, Mechanikerinnen oder Piratinnen. Mit der Zeit bekamen die Figuren bewegliche Hände, Arme und Beine sowie verschiedene Frisuren. Mit Accessoires wie Blumen, Taschen, Skier oder Sonnenbrillen, die sich anklippen lassen, bevölkern schätzungsweise 3,8 Milliarden Playmobil-Figuren die Kinderzimmer der Welt.

Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten fünf Jahrzehnte spiegelt sich in dieser Miniaturwelt. Gesammelt werden von Groß und Klein auch jene Sonderfiguren, die zu verschiedensten Anlässen auf den Markt kommen. Zu finden sind sie häufig auch bei Playmobil-Begeisterten, die längst den Kinderschuhen entwachsen sind. Da sind etwa Musikgenie Mozart mit weißer Perücke, Friedrich Schiller mit Apfel zur Inspiration, Van Gogh und Rembrandt an der Staffelei und eben Martin Luther  Bei der Ausstattung wurde sich an bestehenden Figuren orientiert. Und so verwundert es nicht, dass der Talar des Kirchenmanns genauso gut als Umhang für einen Vampir taugt.

 

Nicht für Kunststoff, sondern für Schnitzereien aus Holz ist Oberammergau bekannt; schon vor 200 Jahren wurde dort, in den Ammergauer Alpen südlich von München Religiöses („Herrgottschnitzer“) produziert – und auch Holzspielzeug. Aus Holz wurde geschnitzt, was Kinderherzen höherschlagen lässt. Puppen, Tierfiguren oder Hampelmänner in allen Farben wurden bis nach Nordamerika exportiert. Damals waren Holzspielzeug-Figuren ein Luxus. „Es war Spielzeug, das sich vor allem Adel und reiches Bürgertum leisten konnte“, so Constanze Werner vom örtlichen Museum. Berühmte Kunden gab es auch: Herzogin Ludovika von Bayern bestellte für die Brüder von Kaiserin Elisabeth „Sissi“ etwa Spielzeugsoldaten. Auch Ludwig II. soll mit Holzfiguren aus dem Ammertal gespielt haben. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Hampelmänner – „Schnürlkasperl“ oder „Fadengaukler“ genannt – herstellt. Nur noch wenige Schnitzer halten diese Tradition heute am Leben – als Volkskunst, die einst für Kinder war.

Margarete Steiff (1847−1909)

Den wohl den besten Freund, den es für Kinder gibt, hat eine Frau aus Giengen an der Brenz am Rande der Schwäbischen Ostalb Generationen von Heranwachsenden geschenkt: das Kuscheltier. Als Margarete Steiff 1847 in der Kleinstadt geboren wurde, war solch ein Erfolg unvorstellbar – und heute erinnern in ihrer Heimatstadt das weltbekannte Unternehmen und ein firmeneigenes Museum an die bemerkenswerte Frau.

„Gretle“, wie sie genannt wurde, war das dritte von vier Kindern. Mit 18 Monaten erkrankte sie an Kinderlähmung, einer damals unerforschten und nicht therapierbaren Krankheit. Beide Beine blieben seitdem gelähmt; die rechte Hand war zeitlebens geschwächt. Ihre Eltern, der Bauwerkmeister Friedrich Steiff und seine Ehefrau Maria, ließen jedoch nichts unversucht, um ihrer Tochter zu helfen. Für das Mädchen begann eine wahre Odyssee: Ärzte wurden konsultiert, Bade- und Bewegungskuren und Operationen sollten ihren Zustand verbessern – die Bemühungen blieben  vergeblich. Doch die lebensfrohe Gretle erkämpfte sich trotz Rollstuhl ihren Platz im Leben.

Hartnäckig setzte sie durch, die Schule besuchen zu können. Jeden Tag wurde sie mit einem Karren dorthin gezogen und ins Schulgebäude getragen. Gretle war eine überdurchschnittlich gute Schülerin. Eine Außenseiterin wollte sie nie sein. „Wer an sich selbst glaubt, ist frei“, soll Steiff einmal gesagt haben. Ihr sei es – so die Steiff-Biografin Gabriele Katz − gelungen, „die Behinderung als Tatsache zu akzeptieren, die sie ein Leben lang begleiten würde.“

Im Jugendalter lernte Margarete Steiff mit Fleiß und starkem Willen nähen und wurde schließlich Schneiderin. Sie schaffte sich als erste Frau Giengens eine Nähmaschine an: „Inzwischen hatte ich auch entdeckt, dass ich eine Nähmaschine mit der linken Hand treiben konnte, indem ich sie verkehrt vor mich nahm. Das war eine große Errungenschaft!“ Sie übernahm Auftragsarbeiten für Hauswäsche, Nachthemden, oder Bettwäsche. Zusammen mit ihren Schwestern Pauline und Marie entwickelte sie einen bemerkenswerten Unternehmergeist. 1877 gründete sie ihr eigenes Filzkonfektionsgeschäft und produzierte etwa Kleider oder Kindermäntel und es gelang ihr, unabhängig und selbständig zu arbeiten. „Eine Frau mit Behinderung als Unternehmerin war zu Lebzeiten von Margarete Steiff sehr ungewöhnlich“, konstatiert auch Karin Falkenberg, die Leiterin des Spielzeugmuseums Nürnberg.

Margarete Steiffs „Elefäntle“, eigentlich als Nadelkissen konzipiert
Bildnachweis: Wikimedia / Steiff-Museum Giengen

In einem Modejournal entdeckte Steiff 1880 ein Schnittmuster. Aus Filz nähte sie einen kleinen mit Wolle gestopften Elefanten. Anzunehmen ist, dass sie ihn akribisch und mit Freude anfertigte, so wie die Historikerin Maren Gottschalk es in ihrer jüngst erschienen Romanbiografie „Fräulein Steiff“ beschreibt. Was als Nadelkissen gedacht war, wurde zu einem genialen Spielzeug. Das „Elefäntle“, wie es liebevoll hieß, eroberte in kürzester Zeit die Herzen der Kinder. Es war das erste weiche und kindgerechte Spielzeug überhaupt. Und so wurde über die Jahre aus der Schneiderwerkstatt eine florierende Fabrik.

Steiffs Bruder Fritz unterstützte seine Schwester beim Ausbau des Unternehmens, indem er Aufträge akquirierte. Ihr Neffe Richard designte wiederum um 1902 den ersten Teddybären mit beweglichen Armen und Beinen. Er machte die selbstbewusste Unternehmerin aus der schwäbischen Provinz nahezu auf der ganzen Welt berühmt. Auf der Leipziger Spielwarenmesse gelang der Durchbruch, als ein Amerikaner 3000 Bären bestellte. 1906 wurden bereits fast 400.000 verkauft, selbstverständlich mit dem Markenzeichen „Knopf im Ohr“. Margarete Steiff, die 1909 mit 61 Jahren an einer Lungenentzündung starb, erlebte noch, wie ihr Unternehmen und vor allem die Spieltiere immer bekannter wurden. „Jetzt bekamen die Kinder weiche und zugleich stabile Gefährten, die sie knuddeln konnten und mit denen sie auch toben durften“, schreibt die Autorin Maren Gottschalk. Auch Karin Falkenberg lobt Steiffs Erfindung: „Mit ihren für damals innovativen und unkonventionellen Kuscheltieren revolutionierte sie die Spielzeug-Welt.“ Sie waren weich und warm und einfach nur zum Spielen da.

 

 

Weitere Informationen:

 

 

Bildmaterial:

 

Junge mit Schaukelpferd, 1913.

Bildnachweis: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum

https://museen.nuernberg.de/fileadmin/mdsn/images/content/Spielzeugmuseum/Service/Presse/2016/Bitte_laecheln/junge-mit-schaukelpferd-p.jpg

 

„Spielen ist Dialog mit der Welt“ 

Bildnachweis: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum

https://museen.nuernberg.de/fileadmin/mdsn/images/content/Spielzeugmuseum/Service/Presse/2021/Neues_Foyer/spielzeug-ist-politisch-p.jpg

 

 

Margarete Steiff:

Bildnachweis: Wikimedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Margarete_Steiff#/media/Datei:Steiffmargarete.jpg

 

Bobby Car

Bildnachweis: Wikimedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Bobby-Car#/media/Datei:Big_bobby_car_rot.JPG

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