NOCH bis 26. November

Wie sehr Comic-Bücher bewegen und erschüttern können ist bekannt seit 1989 auch in Deutschland die „Maus“-Bücher von Art Spiegelmann „Mein Vater kotzt Geschichte aus“ und zwei Jahre später der Band „Und hier begann mein Unglück“ erschienen sind. Der Zeichner verarbeitet darin die Geschichte seiner Familie, im Zentrum sein Vater Wladek, ein Überlebender des Holocaust. Im Stil einer Fabel – die Juden als Mäuse, Polen als Schweine, die Deutschen als Katzen – berichtet Spiegelmann von den grauenhaften Erfahrungen, die sein Vater, jetzt ein geiziger kauziger alter Mann, durchleiden musste. Spätestens seit „Maus“, wofür Art Spiegelmann den Pulitzer-Preis erhielt, dürfen sich Comics mit anspruchsvoller Literatur messen und haben ihr thematisch Spektrum drastisch erweitertet.

Ob als Graphic Novel oder als Comic − die Aufarbeitung von Geschichte, von Konflikten und Kriegen und historischen Ereignissen wie beispielsweise dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima − vermittelt sich auf beeindruckende Weise als Text-Bild-Kombination. Und was könnte das Entsetzen anschaulicher machen als die Abbildung eines Menschen, der binnen Sekunden körperlich ausgelöscht wurde und nur noch als Schatten existiert. Die Graphic Novel „Die Bombe“ berichtet beispielsweise in Bildern von den Hintergründen und den Folgen der Atombombenabwürfe in Japan, denen Hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Dem Vorurteil, dass man so grausame Geschichten nicht als Comic erzählen dürfe, hält Autor Didier Alcante entgegen, dass diese sich sogar sehr gut eigneten: „Auf der einen Seite kann man den Text für die Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte verwenden. Man kann in seinem eigenen Tempo lesen und die Vielschichtigkeit verstehen. Und auf der anderen Seite stehen die Zeichnungen, um die Gefühle zu vermitteln.“

Nach „Maus“ haben etliche weitere Comics das grausame Geschehen in KZs und die Erlebnisse und Erfahrungen der Verfolgten erzählt: 2005 erschien Pascal Crocis Dokumentarcomic „Auschwitz“, andere Graphic Novel-Werke sind den Leben bekannter (verfolgter) Persönlichkeiten wie Anne Frank, Dietrich Bonhoeffer, dem Boxer Hertzko Haft und Irena Sendler gewidmet, die jüdische Kinder aus dem Warschauer Getto gerettet hat.

Bücherkoffer im Kunsthaus mit einer Comic- und Graphic Novel-Auswahl

Die Zeichnungen könnten, so der Autor Ole Frahm im Deutschlandfunk, „eine Gegen-Erinnerung sein zu der von den Nationalsozialisten dominierten fotografischen Erinnerung, die bis heute unser visuelles Gedächtnis beherrsche“. Fram gab 2021 zusammen mit Hans-Joachim Hahn und Markus Streb das Buch „Beyond MAUS: The Legacy of Holocaust Comics“ heraus, erschienen im Böhlau Verlag unter den Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 34, der 16 Beiträg vereint zu verschiedenen Ansätzen, „mit Comics das Unsagbare zu sagen und das Unzeigbare des Holocaust zu zeigen.“

Das Buch und ein Blick in die Ausstellung

Einen neuen Weg gingen die Zeichner:innen Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar mit dem Buch „Aber ich lebe“, das nach den Erinnerungen der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel, David Schaffer sowie Nico und Rolf Kamp entstanden ist. Im Rahmen eines Forschungsprojekts begegneten sich die Künstler:innen und jeweils ein oder zwei Kinderüberlebende des Holocaust zum einen persönlich, zum anderen wegen Corona per Zoom-Meetings. Sie berichteten den Zeichner:innen von ihren jeweiligen Erfahrungen, vom Verstecken, von Angst und Hunger, vertrauten ihnen ihre traumatischen Erlebnisse an, auf deren Basis erste Skizzen und Storyboards − und persönliche Beziehungen entstanden. „Emmie Arbel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern.“ Gemeinsam mit den Überlebenden gelang es den Zeichner:innen, den Lesern und Leserinnen vor Augen zu führen, was der Holocaust für Kinder bedeutet hat.

Kuratiert von Jakob Hoffmann und Barbara Yelin entstand aus dem Buch-Projekt 2022 für den Comic Salon Erlangen eine Ausstellung, mit Hörstationen, Original-Zeichnungen, Bücherkoffer und weiteren Elementen, die die Entstehung des Buches und das Miteinander von Künstler:innen und Überlebenden aufschlüsseln und auf eindringliche Weise an das Geschehen vor über 75 Jahren erinnern. In Wiesbaden ist die Ausstellung noch bis 26. November zu sehen. An diesem Tag findet um 15 Uhr eine Kuratorenführung mit Jakob Hoffmann durch die Ausstellung statt.

https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/das-karikaturen-album-von-auschwitz-100.html

https://www.comic-salon.de/

https://www.wiesbaden.de/kultur/bildende-kunst/ausstellungsorte/kunsthaus/kunsthaus-aber-ich-lebe.php

 

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