Beim Schwager vorn. Literarische Postwagenreisen

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Beschreibung

Beim Schwager vorn

Literarische Postwagenreisen

Ausgabe

Das Archiv 4/2010

Autor: Klaus Beyrer

Seiten: 6-12

An der Politik nimmt die Öffentlichkeit gewöhnlich regen Anteil. Der Alltag eines Bundespräsidenten bildet da keine Ausnahme. In den Medien wird man über seine Auftritte im Parlament informiert und über seine Reisen, man kennt seine Freizeitinteressen und persönlichen Leidenschaften. Karl Carstens zum Beispiel wanderte gern und oft – quer durch die damalige Bundesrepublik von der Nordsee bis an die Alpen. Johannes Rau verbrachte seine Ferien meist auf Spiekeroog. Theodor Heuss widmete sich in seiner Freizeit dem Verfassen von Büchern. Und Walter Scheel? Scheel bekannte sich aufs Innigste zu seiner Sangeslust.

Noch während der Amtszeit als Außenminister trat er mit seiner Kunst sogar im Fernsehen auf – am 6. Dezember 1973 in der Spielshow „Drei mal Neun“ des Zweiten Deutschen Fernsehens. Zu Gehör gab der spätere Bundespräsident das Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ in einer in den 1870er-Jahren entstandenen Textfassung des Meininger Lehrers und Schriftstellers Rudolf Baumbach. Bis heute zählt das 1922 vertonte „Hoch auf dem gelben Wagen“ zu den populärsten Liedern überhaupt. Selbst die Zeit des Dritten Reiches hat es einigermaßen unbeschadet überstanden. Allein für die Wirkungsgeschichte und Verbreitung des Volkslieds führt die Internetsuchmaschine „Google“ heute annähernd 50 000 Einträge. Bei zahllosen Gelegenheiten wurde und wird es be müht. Schon die bei der Plattenfirma Polydor erschienene Aufnahme Walter Scheels hielt sich über 15 Wochen in der deutschen Hitparade und brachte es bis auf Platz fünf. Gotthilf Fischer spielte das Lied mit seinen Stuttgarter Chören ein. Der Schlagerstar Roy Black sang es 1973 in dem Spielfilm „Schwarzwaldfahrt aus Liebeskummer“. In einer Umfrage der evangelischen Zeitschrift Chrismon vom Juli 2008 sprengt „Hoch auf dem gelben Wagen“ sämtliche Bekanntheitsrekorde. Nicht weniger als 60 Prozent aller Deutschen sehen sich in der Lage, einzelne Verse aus dem Steg reif zu singen. Kein Schlager, kein Volks- oder Kirchenlied wurde häufiger genannt. Nicht ohne Verwunderung bleibt also zu fragen, weshalb es ausgerechnet der „gelbe Wagen“ ist, der die Menschen aufrüttelt und bewegt. Ein Lied, das seit vielen Generationen erfolgreich ist – obwohl die Zeit, die es besingt, seit Jahrhunderten der Vergangenheit angehört. Allgemeiner noch: Wer sind die Autoren, Schriftsteller und Dichter, die sich für den Kutschenstoff erwärmten? Und: Was ist es, das sie uns heute noch zu sagen haben?

(…)

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