Ein Besuch beim Ansichtskartenhersteller

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„Der Schwarzwald geht wie warme Semmeln“

Ein Besuch beim Ansichtskartenhersteller

Ausgabe

Das Archiv 4/2007

Autor: Jürgen Bräunlein

Seiten: 6-11

„Bei einem Eisenbahnunglück sucht der Franzose eine Frauenbekanntschaft. Der Engländer lässt sich in seiner Zeitungslektüre nicht stören und ein Deutscher schreibt Ansichtskarten – notfalls noch im Himmel“, frotzelteThomasTheodor Heine (1867–1948), Mitarbeiter der legendären Satire-Zeitschrift Simplicissimus, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 100 Jahre später sieht der Nationalitätenvergleich ein wenig anders aus. Engländer, aber auch Holländer, schreiben um ein Vielfaches häufiger Ansichtskarten als die Deutschen, Spitzenreiter weltweit sind die Amerikaner. Sagt Wolfgang Hesse. Und der muss es wissen, ist er doch Geschäftsführer des Lübecker Schöning-Verlags, dem mit Abstand größten Postkartenhersteller Deutschlands. Jede zweite Ansichtskarte, die zwischen Sylt und Garmisch-Partenkirchen gekauft wird, ist von Schöning produziert. Das Firmenmotto lautet zeitlos kokett: „Reisen Sie mit uns durch ganz Deutschland. Seit 1925 arbeiten wir daran, das Land von seiner schönsten Seite zu zeigen.“Als der Verlag gegründet wurde, bestand das Stammsortiment ausschließlich aus Ansichtskarten. Die Umsätze wuchsen schnell, dabei hatte die Ansichtskarte, das erste illustrative Massenmedium überhaupt, ihre goldene Ära zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich.
Ihre Geschichte begann inoffiziell 1865, als Heinrich von Stephan, damals Geheimer Postrat beim preußischen Generalpostamt, einen revolutionären Einfall hatte. „Die jetzige Briefform“, so stellte er fest, „gewährt für eine erhebliche Anzahl von Mitteilungen nicht die genügende Einfachheit und Kürze.“ Als Alternative entwickelte er ein „Postblatt“. Es hat „die Dimension eines gewöhnlichen Briefcouverts größerer Art und besteht aus steifem Papier. DieVorderseite würde vorne als Überschrift die Benennung des Postbezirks und eine entsprechende Vignette (Landeswappen) tragen, links einen markierten Rand zum Abdruck des Postaufgabestempels, rechts die Postfreimarke, gleich in das Formular eingestempelt. […] Dann ein Raum für die Adresse mit dem Vermerk ‚An’ […], sowie die vorgedruckte Notiz: ‚Die Rückseite kann zu schriftlichen Mitteilungen jeder Art benutzt werden‚ […]“.

(…)