Ein Medium im Zweiten Weltkrieg zwischen Propaganda und Privatheit

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„Sprechende Feldpost“

Ein Medium im Zweiten Weltkrieg zwischen Propaganda und Privatheit

Ausgabe

Das Archiv 2/2012

Autor: Thomas Jander

Seiten: 22-29

Der Wunsch, die menschliche Stimme zu speichern, ist keinesfalls ein moderner. Im 18. Jahrhundert beklagte der Publizist Christoph Martin Wieland die Eingeschränktheit schriftlicher Kommunikation: „[D]er Ton, die Modulation der Stimme, womit man etwas sagt, gibt dem Gesagten ganz eine andere Bestimmung.“ Doch dauerte es noch 100 Jahre, bis Tonträger erfunden wurden, die als Kommunikationsmittel genutzt werden konnten. 1877 stellte Thomas Alva Edison seinen Phonographen vor, mit dem sich erstmals Töne auf eine Folienwalze aufzeichnen ließen. Als Teil einer Werbeaktion verschickte er den ersten Sprechbrief der Welt, als er sein „Post-Phonogramm“, das heißt einen Phonographen mit zwei Walzen nach London versendete. Darauf hatte er einen Brief an seinen englischen Vertreter sowie eine Presseerklärung für die öffentliche Vorführung seiner Maschine aufgesprochen. Bedarf an derartiger Kommunikation gab es auch im Deutschen Kaiserreich. Hier wünschte man sich – so einige Beiträge in der Phonografischen Zeitschrift um 1900 − eine billige Sprechverbindung zwischen Berlin und New York: „Die Ausbreitung der Phonographie hat speziell in Deutschland einen Punkt erreicht, an welchem die phonographische Briefpost möglich und daher erwünscht ist.“ Der Gebrauch des Phonographen als Ersatz der Schreibmaschine beziehungsweise der gewöhnlichen Schrift wurde kurz nach der Jahrhundertwende häufig als neues Betätigungsfeld gepriesen, da „eine solche Verwendung des Phonographen mit verhältnißmäßig geringen Kosten verknüpft ist, und ihm den Eintritt in Bevölkerungsschichten [verschafft], die ihm sonst sehr fern stehen“. Doch der Euphorie folgte bald Ernüchterung, da sich die Beförderung der Walzen als teuer und unpraktisch erwies. Den Brief konnten sie nicht ersetzten.
Mit der Erfindung und Verbreitung der Schallplatte änderte sich die Möglichkeit individueller Tonspeicherung grundlegend. Während Edison das Verlangen der Käufer nach bespielten Walzen unterschätzt hatte, wurde die Schallplatte ein Massenmedium. Sie konnte die Wachszylinder dank wesentlicher Vorteile verdrängen: Ihre ebene Oberfläche ließ sich leicht vervielfältigen, ihre flache Form und geringere Empfindlichkeit erleichterten Transport und Aufbewahrung und aufgrund ihres härteren Materials war sie haltbarer und öfter abspielbar. Allerdings waren die damals handelsüblichen Schellackplatten nur mit hohem technischem Aufwand zu „schneiden“. Schellack war zu hart und spröde, als dass sich im Privatbereich ein gutes Klangergebnis erzielen ließ. Für individuelle Aufnahmen waren andere Materialien nötig. Diese mussten zwei scheinbar gegensätzliche Bedingungen erfüllen: Einerseits sollte ihr Material weich genug sein, um guten Klang zu erzielen. Andererseits mussten sie ausreichend hart sein, um beim Transport und Abspielen nicht beschädigt zu werden. Auf dem Markt setzten sich schließlich drei Arten von Schallplatten durch: Zum einen Gelatineplatten, deren Beschreibschicht aus Knochenleim bestand, der aber sensibel auf Temperaturschwankungen reagierte. Zum anderen sogenannte Lackplatten, die aus Aluminiumscheiben mit einer Beschichtung aus Nitrozelluloselack bestanden und weniger Empfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeit und Temperatur zeigten. Am erfolgreichsten erwiesen sich aber Decelith-Schallfolien aus einem PVC-basierten Kunststoff, der ab 1936 in der Deutschen Celluloid-Fabrik AG in Eilenburg hergestellt wurde. Diese waren robust, alterungsbeständig und für einen breiten Frequenzbereich geeignet.

(…)